Monika hat sich seit ihrem Geburtstag zurückgezogen. Wenn Thomas anruft oder vorbei kommt ist er erwünscht. Doch sie selber zeigt keine Initiative mehr. Sie muss auf die Zähne beissen, damit sie es durchhält. Sie ist gerade mit der Arbeit fertig und auf dem Heimweg als sie ganz spontan noch zu Claudia fährt. Sie ist zu Hause und öffnet dem Gast mit Freude.

„He du, na wie geht es?“

„Beschiessen!“

„Erzähl?“

„Es ist immer nur Thomas, Claudia. Alles ist immer nur wegen Thomas.“

„Was willst du von mir hören?“

„Sag mir, denkst du ganz ehrlich, das er mich liebt?“

„Das kann ich mit ja beantworten, Monika. Er liebt dich wie er eben lieben kann. Ich finde einfach, dass er deinen Wert viel zu wenig schätzt und dass du etwas Besseres verdient hast. Aber komm doch in die Stube, so zwischen Tür und Angel.“

„Ich liebe ihn so!“

„Was hat er denn zum Umzug gesagt?“

„Er findet es toll.“

„Und weiter?“

„Kein weiter, er findet es einfach toll.“ Sie schweigen beide.

„Die Jungs machen mir so Probleme, sie sind so frech geworden, sie hätten einen Vater so nötig.“

„Du und Thomas, schlaft ihr miteinander? Entschuldige die Frage.“

„Nein schon gut, es ist kein Problem. Eben viel zu selten.“

„Was, bitte was nur ist es denn das dich so an Thomas bindet?“

„Ich weiss ich kann ihm helfen. Ich bin mir da ganz sicher. Er hat sich doch schon verändert. Es braucht einfach noch einwenig mehr Zeit. Vielleicht im neuen Haus“ hoffnungvoll schaut sie ihr Gegenüber an.

„Du machst dir selbst etwas vor, Monika.“

„Mir fehlt es an der Kraft jetzt etwas zu ändern. Ich bin schon am packen und aufräumen. Wir wohnen schon sieben Jahre in dieser alten Bruchbude. Das wird mir viel abverlangen dieser Umzug.“

„Wenn ich dir helfen kann dann sag es.“

„Komischer Weise ist nun Thomas viel mehr da und er hilft wo er kann.“

„Dann lass es laufen und schau wie es wird.“

„Kannst du mir die Karten legen?“

„Und wenn sie dir klar sagen werden, Thomas ist weniger für dich? Kannst du damit umgehen? Nein ich denke es ist besser du lässt es laufen. Zieh um und dann schau. Es ist ja wie ein Neuanfang für euch beide.“

„Wenn du meinst.“

„Hat er nie mehr was gesagt wegen der Hochzeit oder dem zusammen ziehen?“

„Nein nie mehr!“ Sie sitzen und schweigen und jede geht ihren Gedanken nach. Monika weiss, sie sollte nun aufstehen und gehen. Sie sollte! Es fehlt ihr die Kraft, sie hat fast Angst heim zu gehen in diese Bruchbude, wo schon alles durcheinander ist, wo so viel Arbeit auf sie wartet, wo nur zwei selbstsüchtige Jugendliche da sind. Claudia spürt was in ihrer Freundin los ist und sagt deshalb:

„Monika, wie kann ich dir helfen?“

„Ach Claudia, ich muss da durch, es gibt kein zurück mehr. Ich habe den Vertrag unterschrieben und ich freue mich echt auf das Haus. Wenn es doch nur schon soweit wäre!“

„Ich kann dir gut nachfühlen“ sie denkt an ihre chaotische Zeit zurück, die erst ein paar Monate her ist.

„Ich muss!“ Monika steht auf „Danke fürs zuhören.“

„Gerne immer wieder und Monika, bitte denk daran, man muss bitten und dann bekommt man es. Bitte deine Freunde, du hast doch so viele, bitte sie um Hilfe. Du wirst erstaunt sein wie gerne sie dir helfen werden.“

„Ich schaff das schon!“

„Da zweifle ich keinen Moment meine Liebe. Ich dachte nur an das wie.“

„Egal ich muss, tschau.“ Sie umarmen sich und Monika geht nach Hause. Claudia denkt noch eine Weile über sie nach, -doch es ist ihr Leben, sie muss sich da raus halten. Wie kann man denn überhaupt über das Leben eines anderen Menschen werten. Man sieht ja immer nur einen Splitter davon. Was und wieso jemand etwas tut, das weiss nur der Betroffene alleine. Und alles hat seine Zeit. Es sieht einfach so aus, als wenn Monika noch mehr Zeit braucht um zu erkennen. Um wirklich zu erkennen was ihr gut tut und was sie aus ihrem Leben entfernen soll.- Das Leben greift ein, dann wenn man es auf keinen Fall erkennen will, dann kommen eben diese sogenannten Schicksalsschläge. Wie es bei ihr selber ja dann auch gekommen ist!

Bei Monika sind die Jungs schon zu Hause und wie immer am streiten. Die Atmosphäre ist dermassen zum kotzen. Am Liebsten hätte Monika wieder umgedreht! Doch sie bleibt. Kurze Zeit später kommt Thomas, er hat einen Kuchen gebacken.

„Hallo Schatz“ begrüsst er sie und küsst sie auf den Mund.

„Hallo“ sie ist so müde!

„Was ist?“ er schaut sie aufmerksamer an.

„Ach ich bin einfach am Ende. Es ist alles so zuviel!“

„Nur noch ein paar Wochen und es ist vorbei. Ich helfe dir ja. Komm, packen wir noch ein paar Sachen zusammen.“

„Nein, ich bin zu müde heute. Bleibst du hier?“

Er überhört die Frage einfach und sagt stattdessen. „Machst du uns einen Kaffee zum Kuchen. Ich habe ihn extra für dich gebacken, mein Schatz.“ Sie resigniert, macht den Kaffee, setzt sich hin, isst den Kuchen und spielt mit. Sie verneint sich selbst ohne es zu merken und der Strudel des Selbstmitleids öffnet sich für sie! Thomas ist gegangen, die Jungs sind im Bett. Sie versucht zu meditieren sich zu beruhigen und Kraft zu sammeln. Alle wollen etwas von ihr! Bei der Arbeit, zu Hause, bei der Liebe einfach alle! Sie stützt den Kopf in die Hände und Tränen laufen leise über ihre Wangen. Sie lässt sie laufen! Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Wie viel Gewohnheit lässt er zu? Was für eine Angst vor der Veränderung ist es, die uns inne halten lässt um ja alles so zu lassen wie es ist? Wir sehen den Abgrund und doch halten wir unaufhörlich auf ihn zu. Monikas Tage gleichen sich nun einer dem anderen. Der Zügeltag ist da! Thomas ist schon ganz früh am Morgen mit Gipfele und Brötchen aufgetaucht. Er hat den gemieteten Bus dabei und los geht es. Müde doch irgendwie auch glücklich legt sich dann Monika am Abend im neuen Haus ins Bett. Zwar ist noch überall ein durcheinander, dafür ist sie im neuen Haus! -Jetzt wird es gut!- mit diesem Gedanken schläft sie ein. Und wirklich, Thomas ist jeden Tag da und sägt, schraubt, hilft einfach wo er kann. Sie hat eine Woche Ferien und geniesst jeden Tag in vollen Zügen. Endlich ist die alte Bruchbude fertig geputzt und abgegeben. Nun kann sie sich voll und ganz dem Neuen widmen. Die Tage mit Thomas verlaufen harmonisch. Ihr Umgang untereinander gleicht eher Geschwister wir verliebten. Schon sieben Jahre sind sie nun zusammen. Sieben lange Jahre! Monika sitzt auf dem Gartensitzplatz in der Sonne und geniesst einfach das Nichtstun für den Moment. Ein Auto fährt vor es ist Claudia.

„Hallo stör ich?“

„Nein ich ruhe mich nur kurz aus. Willst du etwas trinken?“

„Gerne.“

„Sirup?“

„Ja klar, kann ich mal drinnen so sehen was du schon gemacht hast?“ Volller Stolz führt Monika den Gast durchs Haus. Erklärt was sie hier oder da noch machen will und zeigt einfach Freude an der neuen Bleibe.

„Ja da hast du es schön, so wie du es immer wolltest. Einen kleinen Garten, Hühner in Ausssicht. Ja so hast du es dir immer vorgestellt.“

„Fehlt nur der Mann!“

„Thomas?“

„Er ist süss, er ist jeden Tag da, geht immer am Abend und kommt dann am anderen Tag irgendwann wieder. Er hat mir echt viel geholfen. Wenn wir zusammen arbeiten, dann spüre ich die Verbundenheit.“

„Wie geht es dir?“

„Wie es mir geht? Ich funktioniere!“ sie lacht.

„Und sonst?“

„Was sonst, ich geniesse einfach das Haus und versuche keine Gedanken an Thomas zu haben.“

„Und das gelingt dir?“ Claudia lächelt sie voll an!

„Mal mehr und mal weniger! Lassen wir es einfach so wie es ist.“

„Einverstanden, komm gehen wir wieder in die Sonne.“

Manchmal ist man gegenüber sich selbst so etwas von blind. Nein ich denke fast immer ist man gegenüber sich selbst blind. Wie gut das es Freunde und Freundinnen gibt und wie gut, dass man denen nur zuhören muss. Sowieso, bei einem anderen Menschen kann man vielfach sofort sagen was ihm gut täte wenn es es ändern will. Bei sich selbst? Irgenwo hat Claudia mal den Spruch gehört: Richtige Liebe ist wenn man sein Gegenüber in dem was er will unterstützt. Voll und ganz dahinter steht auch wenn man es selbst als falsche erachtet. Die heutigen Menschen verwechseln die Liebe oft und sind ja so sicher sie wissen was für den anderen gut ist. Das ist der gravierende Unterschied, die eine Liebe unterstützt, die andere gibt vor. Was ist wohl die wohltuendere?

Regula

Karl lässt sich am Telefon verleugnen und Regula steht da mit abgesägten Hosen. Ihre Psyche ist auf dem Weg der Besserung doch noch weit davon entfernt geheilt zu sein. Diesmal hat Regula Claudia angerufen und sie gebeten einen Besuch bei ihr zu machen.

„Hallo Regula, gut siehst du aus.“

„Hallo Claudia, danke ich fühle mich schon viel besser.“

„Du hast gesagt du möchtest etwas mit mir besprechen?“

„Ja, ich wollte…“ sie bricht ab um ein Schluchzen zu unterdrücken.

„Regula was ist los?“ Sie beginnt noch einmal von vorne und kann nun die ganze Unterhaltung mit Karl, ihre Wünsche, ihre Träume, das Angebot von Herrn Ridolfi erzählen. Claudia hört zu, nickt ab und zu, hält ihre Hand.

„Das klingt ja alles schon so fertig.“

„In meinem Kopf ist es auch fertig, doch wenn ich dann im richtigen Leben schaue dann merke ich die Fehler die noch da sind.“

„Versuchen wir doch einmal zu sehen was denn schon steht. Erstens du hast ein ernstgemeintes Angebot, von dem du denkst es könnte dir nützen.“

„Ja.“

„Gut, dann bist du dir selbst im Klaren das es unmöglich sein wird für dich unter dem gleichen Dach wie Karl zu wohnen?“

„Ja.“

„Man kann im Leben keine Entscheidungen treffen ohne einem anderen Menschen weh zu tun. Man verletzt immer und immer wieder. Entweder du stehst jetzt zu dir selbst oder du gibst nach und tust was Karl möchte. Doch bedenke, Regula, die Eigenverletzungen wiegen am Schwersten am Schluss. Ich bin sogar der Meinung, dass man mit dem festhalten an alten Mustern, alten Menschen die anderen Behindert. Sich selbst ja soweiso, doch die anderen?“

„Wie meinst du das?“

„Ich gebe dir ein Beispiel: Also eine Freundin hatte sich von ihrem Mann getrennt und da er aber immer krank war und sie immer noch zusammen in der gleichen Firma arbeiteten kümmerte sie sich um ihn. Nun ist die Firma verkauft worden und siehe da, der Mann hat auf einmal eine bessere Gesundheit.“

„Wo ist denn nun da die Behinderung?“

„Die Behinderung fand statt, weil die Frau dachte, sie müsse dem Mann alles abnehmen da er ja krank ist. Und da dem Mann alles abgenommen wurde konnte er sich nicht weiter entwickeln.“ Sie macht eine Pause und fährt dann fort. Ich will dir damit nur sagen, wenn man ein Glas leert erst dann kommt das Neue. Wenn du dich nun von Karl trennst könnte das für ihn viel mehr verändern als wenn du bei ihm bleibst. Warum tun die Männer alles was wir von ihnen wollten mit der nächsten Frau? Warum verändert man sich fast immer so wie es der Partner eigentlich wollte nach einer Trennung?“

„Sag es mir.“

„Weil der Schmerz etwas auslöst, er gibt Erkenntnisse frei und deshalb möchte man ja den gleichen Fehler auf keinen Fall wiederholen, deshalb ändert man sich.“

„Du rätst mir also weg von Karl?“

„Ach Regula, du musst das selbst erspüren. Du kannst es mit mir besprechen wir können die Vor- und Nachteile einer jeden Situation miteinander besprechen, erwarte keinen Rat von mir was du nun tun musst. Das ist deine Entscheidung.“

„Es wäre einfacher wenn du mir einen Rat gibst.“

„Gut ich gebe dir einen Rat. Stell die heute Abend im Bett vor du gehst wieder heim. Stell es dir so gut du kannst vor und spüre hinein. Und dann tust du dasselbe, indem du dir vorstellt du gehst zu Herrn Ridolfi.“

„Ich kann das jetzt schon spüren!“

Claudia lächelt sie nur an und sagt: „Auf was wartest du denn noch?“

Am anderen Morgen teilt Regula in der Therapiestunde mit, dass sie sich entschieden hat.

„Gut Frau Scherer, ich werde sie in ihrer Entscheidung unterstützen. Planen wir also ihren Austritt zurück ins Leben.“ Die letzten Tage sind für sie wie Ferien. Sie hat sich einen Anwalt genommen damit der Kontakt zu Karl vermieden werden kann. Sie hat ihren Kindern einen Brief geschrieben, hat sie alle herzlichst zu sich eingeladen und ihnen ihren Entschluss der Trennung mitgeteilt. Wie erwartet sind die Jungs für sie und die Tochter hält zum Vater. Eine Mutter die sich beim Vater schon keinen Respekt verschafft. Wie soll sie das denn bei den Kindern schaffen? Der Tag des Austrittes ist da. Claudia kommt sie holen. Regula wirft noch einen Blick zurück dann schaut sie auf die Strasse.

„Weißt du wo die Klingenauerstrasse ist?“

„Nein, keine Ahnung aber ich habe ja ein TomTom, hier gib mal die Strasse ein.“ Mit dem Navigationsgerät fahren sie prompt vor das Haus ohne Umwege. Claudia parkt und dreht den Schlüssel. Stille. Beide warten. Regula holt tief Luft und stösst sie dann stossartig aus. „Wollen wir?“

„Gerne, soll ich noch mitkommen?“

„Ja, komm doch noch mit und lerne meinen lieben Freund kennen.“

„Gut.“

Die Frauen steigen aus. Vor der Haustüre steht er schon. Er hat das Auto kommen sehen und möchte Regula willkommen heissen. Sehr zuvorkommend geleitet er die beiden Damen in den Salon. Regula stellt den Koffer ab und schaut sich um.

„Wollen sie, liebe Regula gleich ihr Zimmer sehen?“

„Ja gerne, kommst du mit?“ fragt sie Claudia. Sie nickt.

Das Haus ist gemütlich, stilvoll und sehr wohnlich eingerichtet. Man fühlt sich gleich zu Hause. Regula hat drei Zimmer zu ihrer Verfügung mit einem eigenen Bad. Die drei sitzen beim Kaffee in der guten Stube und reden über den Alltag. Claudia kann Regula hier ohne Bedenken wohnen lassen. Sie spürt die väterliche Liebe des Freundes und sieht es ihrer Freundin an, dass es ihr hier gut geht. Sie fühlt sich beschützt und behütet. Die Haustüre fällt ins Schloss, sie hören jemanden zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch kommen.

„Hallo, oh du hast ja Besuch!“ Herr Ridolfi erhebt sich uns sagt: „Darf ich den Damen meinen Sohn Frederik vorstellen.“ Er geht zu Claudia, gibt ihr die Hand und bei Regula sagt er: „Haben wir uns in der Klinik schon gesehen?“

„Ja ich war da als sie ihren Vater abholten.“ Er schaut sie noch einmal an und ein Verstehen huscht über sein Gesicht.

„Frau Scherer wird für eine Weile bei mir wohnen.“

„Schön, dann werden wir uns ja öfters sehen und du Dad hast einen angenehme Gesellschaft.“ Er setzt sich ungeniert dazu, nimmt sich Kaffee und die Diskussion geht weiter. Zwei Stunden später steht Claudia auf und verabschiedet sich. Regula begleitet sie bis zur Türe.

„Du bist hier gut aufgehoben, Regula. Wir bleiben in Kontakt und du weißt, ich bin für dich da.“

„Danke Claudia für’s bringen. Und danke einfach für alles.“

„Gern geschehen, du würdest dasselbe ja auch für mich tun. Nun komm mal wieder im Leben an. Ich melde mich.“

Küsschen, Türe zu und Regula ist also in der neuen Welt. Langsam geht sie in den Salon zurück. Herr Ridolfi sitzt immer noch im gleichen Stuhl. Frederik ist schon vor einer Weile gegangen. Sie sind alleine.

„Wie wäre es mit einer Partie Romme?“

„Sie spielen Romme?“

„Eine Leidenschaft von mir, kommen sie, bitte, setzen wir uns an den grossen Tisch.“

Wie selbstverständlich kommt es der Frau vor, dass sie hier in diesem Haus ist. Ja sie wird es wohl schaffen, dieses neue Leben. Es wird sicherlich noch viele Stürme geben. Im Moment ist sie im Hafen, das wilde Gewässer kann auf sie warten.

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