CLAUDIA erwacht am nächsten morgen so richtig ausgeruht. Auch ihr hat der Abend gut getan. Sie hat Georg für den Moment vergessen. Sie bleibt noch einen Augenblick liegen und denkt nach. Ihr erster Gedanke am Morgen ist immer: -welcher Wochentag ist heute?- Dann der zweite: -was habe ich heute für Termine?- Obwohl das Zweite dann eher konkret wird wenn sie in der Agenda nachschaut. Therapie hat sie auf alle Fälle nur wann, dass muss sie nachsehen. Kaffee getrunken, nun ist sie so einigermassen wach! Sie ruft bei Esther an um sich für den Abend zu bedanken.

„Hallo Esther hier ist Claudia.“

„Von dir haben wir gerade gesprochen!“

„Ach ja? Ich wollte mich für den gestrigen Abend bedanken. Was so richtig gemütlich.“

„Danke schön! Wir wollen es wiederholen.“

„Wie wiederholen?“

„Jürg möchte uns alle zu sich nach Hause einladen, übermorgen. Kannst du?“ Claudia muss kurz nachdenken, was ist denn übermorgen, nein da ist sie frei.

„Von mir aus ist es ok.“

„Na schön! Kommst du zu mir und dann gehen wir gemeinsam?“

„Ich fahre selber, gib mir einfach Adresse und Zeit.“ Das Telefon ist kurz und Claudia’s Gedanken wandern zurück zu Harry. Nur für einen Moment, dann schüttelt sie den Kopf. -Ein Liebeskummer reicht!- Um sich einwenig abzulenken geht sie spazieren, das Wetter ist zwar weniger dafür, es regnet, doch das eintönige Prasseln auf dem Schirm lässt sie abdriften und in ihre Welt gehen. Der Schirm verdeckt zum Teil die Sicht. Da es aber auf dem Weg menschenleer ist, kein Problem. Und so vergisst sie komplett die Zeit!

„Sorry!“ Sie ist doch zusammengestossen! Sie hebt den Schirm um besser zu sehen. –Auweia! Da steht Peter!-

„Du, so eine Freude! Hallo Claudia!“

„Hai Peter, was machst du den so abgelegen mitten am Tag?“

„Den Kopf frei kriegen und du?“

„Dasselbe!“

„Hast du Zeit für einen Kaffee?“

Sie nickt.

„Gleich da drüben ist eine kleine Bar. Dies ist mein Lieblingsweg um den Kopf frei zu bekommen.“ Er hat schon während dem reden sich umgedreht und steuert die Bar an. Drinnen ist es etwas dämmrig, die Augen müssen sich erst daran gewöhnen. Sie sitzen am Tisch das Getränk vor sich und schweigen. Musik klingt aus den Lautsprechern, die Bar ist fast leer.

„Schön, dass wir uns so spontan treffen.“ Er schaut ihr in die Augen. Sie nickt.

„Ich würde dir gerne etwas sagen, es hört sich einwenig verrückt an“ sie wartet und schaut ihn an.

„Ich fühle mich in irgend einer Weise zu dir hingezogen die neu für mich ist. Ich…..“ er bricht ab.

„Glaubst du an ein anderes Leben, also ich meine an ein Leben vor diesem Leben?“

„Du meinst Reinkarnation?“

„Ja.“

„Ja glaube ich warum?“

„Immer wenn man sich so hingezogen fühlt könnte dies ja eine Rolle spielen. Dieses gut fühlen hat keine Relevanz mit der Liebe zwischen Mann und Frau. Es ist einfach ein Gefühl für den anderen Menschen.“

„Ja“ er wirkt erleichtert „ja sicher, so kann ich es verstehen.“ Das Eis ist gebrochen und nun beginnen beide so richtig miteinander zu reden. Tiefgründiges zu besprechen und sie merken, da ist jemand auf dem gleichen Weg wie ich! Sie verlassen die Bar mit der Gewissheit, in diesen Momente ist etwas entstanden, dass tief geht.

REGULA ist sich sehr bewusst, ihr Aufenthalt sollte so langsam dem Ende entgegen gehen. Heute wird ihr guter Freund entlassen. Dass er es wieder wagt macht auch ihr Mut. Sie wartet auf ihn im Foyer um ihm noch Lebewohl zu sagen.

„Ah da ist ja mein Sonnenschein“ begrüsst er sie lieb. „Mein Sohn wird mich abholen, wir haben noch ein paar Minuten Zeit.“

„Schön“ ihr ist beklommen zu Mute, nun da es konkret geworden ist und er wirklich geht macht sie sich Gedanken über ihr dasein hier.

„Meine Liebe, warum den die Stirne so runzeln?“

„Was soll ich denn ohne sie hier drinnen machen?“

„Dann kommen sie einfach bald nach, hier, ich habe ihnen meine Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben. Sie wissen, ich warte auf sie da draussen.“ Er macht eine Pause. „Mhm also was ich noch sagen wollte….“ er wird unterbrochen von einem gutaussehenden jungen Mann.

„Hallo Vater!“

„Oh schon da! Schön! Darf ich dir Frau Scherer vorstellen. Wir haben uns hier kennen gelernt.“

Er schüttelt ihr die Hand.

„Kann ich mir kurz einen Kaffee holen, ich habe einwenig gestresst und würde mich, bevor wir gehen gerne für ein paar Minuten erholen?“

„Sicher, sicher mein Sohn wir haben alle Zeit der Welt wenn du mich fragst. Schau da hinten rechts um die Ecke ist der Automat.“

Wieder alleine räuspert er sich und beginnt noch einmal. „Was ich vorhin sagen wollte, meine liebe Regula, darf ich sie so nennen?“

Sie nickt stumm ein ja.

„Ich würde ihnen gerne anbieten, falls sie mal keine Ahnung mehr haben wo der Wind sie hinwehen sollte oder …. ach kurzer Rede langer Sinn! Ich bewohne ein grosses Haus und ich wollte ihnen nur sagen, dass sie immer herzlich willkommen sein werden bei mir. Ob nun auf einen Besuch oder auch für länger.“ Er zwinkert mit dem Auge „sollen doch die Leute glauben ich hätte mir eine junge Geliebte zugezogen!“ er lacht „na was meinen sie?“

Der Sohn ist mit dem Kaffee zurück und setzt sich zu den Beiden.

„Ich weiss dies zu schätzen, sehr zu schätzen und ich könnte mir gut vorstellen, dass es soweit kommen könnte.“

„Von was redet ihr denn?“

„Ist schon gut, Sohn, wir sind uns also einig?“ fragt er zu Regula gewendet. „Sie werden es sich überlegen?“

Stummes nicken ist die Antwort.

„Sollen wir?“ Er hat den Kaffee getrunken und ist aufgestanden.

„Na dem sagt du ausruhen!“ Der Vater schmunzelt vor sich hin. „Dort ist mein Koffer.“

Regula ist auch aufgestanden und die zwei Menschen umarmen sich. Er flüstert ihr ins Ohr. „Na dann Kopf hoch wird schon werden und ich bin ja da!“

Tränen glitzern in ihren Augen sie wendet den Kopf ab und holt ein Taschentuch aus der Tasche um sich die Augen abzuwischen. Während dem sie sich abdreht um in der Tasche zu suchen begibt sich ihr Freund zum Ausgang. Dort dreht er sich noch einmal um, sie schaut ihm nach er schickt ihr ein Lächeln und einen Handkuss, dann schliesst sich die Türe hinter ihm und Regula steht alleine im Foyer. -Hat er ihr eben angeboten bei ihm zu wohnen? Ja hat er! Es geht also eine neue Türe auf, sie wüsste nun wo sie bleiben würde da draussen. Mal so für den ersten Moment.- Diese Aussicht gibt ihr Trost und Hoffnung zugleich. Sie weiss, sie wird nie seine Geliebte sein dazu ist er viel zu alt für sie. Er ist wie ein Vater für sie. Sie wendet sich zurück in die Anstalt und begibt sich zu ihrer Therapeutin. Sie ist etwas zu spät, doch egal, der Abschied war wichtiger! Dadurch das ihr Freund wieder ins Leben zurück gefunden hat sind bei ihr unbewusst ein paar Türen aufgegangen. Es gibt auf einmal ein paar Dinge hier, die sie zu stören beginnen. Der Anfang vom Ende sagt ihr die Therapeutin. Sie sieht es positiv und grundsätzlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch sie sich wieder dem Leben stellen wird. Anderer Tag, andere Zeit. Seit ihr Freund gegangen ist sind nun ein paar Tage vergangen. Sie sitzt unter der Birke als eine Schwester auf sie zukommt.

„Frau Scherer ein Anruf für sie.“

„Ja, hier Scherer?“

„Meine liebe Regula, wie geht es ihnen?“

Als sie seine Stimme hört schiesst Wasser in ihre Augen und Tränen fliessen die Wange herunter. –Zum Glück telefonieren wir nur!- denkt sie. Es tut ihr gut, so richtig gut mit ihm zu sprechen. Er kommt noch einmal ganz konkret auf sein Angebot zurück.

„Sie werden kaum Fuss fassen da draussen wenn sie in ihre alte Umgebung zurück müssen, dass wissen sie selber genau.“

„Das ist es ja auch, was mich immer wieder hinderte ja auszutreten.“

„Ich weiss, ich weiss doch! Na dann wagen sie doch den Sprung ins kalte Wasser und gemeinsam schwimmen wir dem Leben davon. Na was meinen sie dazu?“

„Ich werde es mir überlegen und rufe sie dann an.“

„Einverstanden, dann wünsche ich ihnen noch einen ganz schönen Tag.“

Aufgelegt, sie lässt die Hand mit dem Telefon auf ihre Knie sinken und sinniert vor sich hin. -Kann sie? Darf sie? Soll sie?- Entschlossen steht sie auf, bringt das Telefon zurück und bittet um einen auserordentlichen Termin bei der Therapeutin.

„Ich habe mir überlegt ob es wohl an der Zeit wäre zu gehen?“

„Fühlen sie sich dazu bereit?“

„Auf eine Seite schon. Wenn ich aber an mein Zuhause denke, an Karl, an die Kinder, dann nein.“

„Was brauchen sie, Frau Scherer damit sie den Schritt wagen könnten?“

„Ich habe ein Angebot von Herrn Ridolfi erhalten bei ihm zu wohnen?“ Gespannt schaut Karin die Therapeutin an, was wird sie nun sagen?

„Ich habe Herrn Ridolfi als einen sehr anständigen und ehrlichen Mann kennen gelernt. Sie wissen warum er hier war?“

„Ja er hat es mir erzählt.“

„Ich für meinen Teil finde das Angebot eine Chance. Er ist in seinem Haus zu zweit und sie haben immer jemanden zum reden da. Das sie ihr Leben in der alten Umgebung wieder in den Griff bekommen ist nach meiner Erfahrung immer sehr, sehr schwierig! Ergreifen sie diese Chance! So haben sie Abstand zu ihrem Mann und können sich in Ruhe überlegen was und wie sie nun weiter gehen möchten. Ich bitte sie einfach darum, mindestens einmal in der Woche zu mir zum Gespräch zu kommen. Als ihre Unterstützung sozusagen.“ Sie lächelt die Klientin an.

„Ja sicher, das werde ich. Dann denken sie ich sollte die Anstalt verlassen.“

„Ich denke sie sind soweit. Bleibt nur noch es ihrem Mann zu sagen.“

„Könnten sie bei dem Gespräch dabei sein?“

„Selbstverständlich wenn sie es wünschen.“

„Dann könnten sie einen Termin mit ihm abmachen?“

„Ja ich werde mich darum kümmern und es ihnen dann mitteilen.“

Viel ruhiger und gefasster verlässt nun Regula den Therapieraum. Sie wird begleitet, von dieser tollen Frau, von ihrem Freund, ja so könnte sie es schaffen. Sie geht in ihr Zimmer und beginnt ihre Mantras zu beten. Karl nimmt sich die Zeit und erscheint zum festgesetzten Termin. Etwas irritiert ist er schon, als er merkt, dass die Therapeutin dabei sein wird.

„Guten Tag Herr Scherer, ich bin Frau Tizzoni“ begrüsst sie Karl. „Wir haben um ein Treffen gebeten um das weitere vorgehen mit ihrer Frau zu besprechen.“

„Gut“

„Wir denken, dass sie soweit ist wieder ins Leben hinaus zu gehen.“

„Sehr gut!“

„Leider sind da ein paar Schwierigkeiten, die wir gerne mit ihnen besprechen wollten.“

„Was für Schwierigkeiten? Regula?“

Sie schaut zu Frau Tizzoni und diese antwortet für sie.

„Frau Scherer ist sich bewusst, dass sie noch zuwenig stark ist, sich der alten Umgebung zu stellen. Sie möchte sich noch klarer werden ob und wie sie mit ihnen weiter leben will.“

„Regula?“ ist das Einzige das er sagt.

„Ich brauche noch etwas Zeit, Karl. Ich will und kann keine alten Sachen mehr ertragen. Du hast ein anderes Leben mit der anderen Frau. Lass mich doch einfach gehen.“

„Ich liebe dich doch!“

„Ihre Frau braucht noch den Abstand und deshalb wird sie zu Herrn Ridolfi ziehen und regelmässig zu mir in die Therapie kommen.“

„Was? Zu wem will sie ziehen! Kommt doch auf keinen Fall in Frage! Sie gehört nach Hause, nur dort hin gehört sie!“

„Herr Scherer, ihre Frau hat eine eigene Meinung.“

„Seit wann!“

„Ja Karl, ich habe eine eigene Meinung. Ich will für mich mein Leben wieder auf die Reihe bringen. Und so wie es im Moment aussieht, ohne dich.“ Sie hat es gesagt, oh mein Gott! Sie hat es gesagt! „Du weißt immer so genau was für mich gut sein soll! Woher kannst du das denn wissen, sag woher? Warum unterstützt du mich einmal nur in dem was ich will! Karl ich bin ein Mensch der denken kann und ja, ich habe das Denken viel dir überlassen, doch jetzt möchte ich selber denken, für mich denken!“

„Jetzt gehst du zu weit! Ich soll akzeptieren, dass du bei einem anderen Mann wohnst?“ Karl hört mal wieder nur das was er will!

„Er ist über 70 Jahre alt! Und er ist ein Freund für mich. Warum darfst nur du das?“

„Ich höre mir diesen Blödsinn auf keinen Fall länger an. Meine Frau gehört zu mir und sie hat gefälligst auch nach Hause zu kommen. Alles andere ist unakzeptabel!“ er steht auf.

„Herr Scherer, ich bitte sie, wir sind hier um eine Lösung zu finden. Bitte setzen sie sich doch wieder.“

„Karl, bitte gib mich frei, bitte.“ Regula schaut ihren Mann an und sie spürt immer noch Liebe! Es ist so schwer!

„Gut, dann suchen wir eine Lösung. Hier mein Vorschlag. Unser Haus ist so gross, dass da auch zwei Menschen wohnen können ohne sich gegenseitig zu sehen. Also du nimmst dir ein paar Zimmer für dich und versucht so wieder ins Leben zu finden.“

„Wir haben nur eine Küche.“

„Wir können uns ja aus dem Weg gehen. Ich bin ja so viel abwesend.“

Regula schweigt.

„Herr Scherer, ich werde mit ihrer Frau den Vorschlag bedenken und wir kommen wieder auf sie zurück. Jetzt glaube ich, ist genug geredet.“ Sie steht auf um es verbindlich zu machen. Karl geht auf seine Frau zu, sie ohne zu überlegen, macht einen Schritt nach hinten. Er bleibt stehen, schaut sie an, dreht sich um und verlässt das Zimmer.

„Ich denke ich brauche etwas um mich zu beruhigen.“

„Frau Scherer das ist nur der erste Moment. Gehen sie etwas im Park spazieren lassen sie es wirken und wir reden morgen wieder darüber.“

Freundlich entlässt sie die Patientin. Diese tut wie ihr geheissen und spaziert im Park einwenig. Die grossen alten Bäume strahlen Frieden in ihr Herz. -Karl wird nie nachgeben. Wenn sie mit ihm unter einem Dach wohnt, sie wird nie nein sagen können wenn er dann Sex will. Nein, auf keinen Fall, sie muss weg von ihm, weg von zu Hause.- Am nächsten Tag ist sie schon viel ruhiger und gelassener. Wie soll sie denn das Angebot ausschlagen, es ist doch so, als ob das Leben selbst es ihr offeriert. Sie muss sich nur noch entscheiden.

„Guten Tag Frau Scherer.“

„Guten Tag Frau Tizzoni.“

„Wie geht es ihnen heute?“

„Besser, es geht mir besser.“

„Haben sie sich Gedanken gemacht?“

„Ja viele, ich kann auf keinen Fall zu Karl zurück, ich bin noch zuwenig stark dazu.“

„Und wie haben sie es sich denn vorgestellt?“

„Ich denke dass ich das Angebot von Herrn Ridolfi annehmen werde.“

„Ihr Mann wird das nie und nimmer akzeptieren, Frau Scherer.“

„Ich weiss.“

„Was haben sie denn für Alternativen?“

„Ich habe über eine Trennung nachgedacht“ sie fängt an zu schluchzen.

„Frau Scherer, wie kann ich ihnen helfen?“

„Ich brauche einfach bessere Medikamente, damit ich den Anfang überstehen kann.“

„Gut das können wir mit der zuständigen Ärztin besprechen. Was noch?“

„Wie gesagt, regelmässige Therapie.“

„Ja sicher, ich denke, dass es zwei bis drei Mal die Woche am Anfang sein müsste.“

„Denken sie denn ich kann es schaffen?“

„Frau Scherer, sie sind eine starke Frau deren Leben im Moment aus den Fugen geraten ist. Das wird schon wieder, glauben sie mir. Gehen sie hinaus und suchen sie die Freude im Leben.“

„Freude, ein Fremdwort für mich im Moment.“

„Sie wird sich wieder bei ihnen einstellen vertrauen sie darauf.“

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