JÜRG muss immer mal wieder an Esther denken. Er hat sie belogen, wegen seinem Alter. Sie hat ihm die 45 voll abgekauft. Egal, wenn sie sein wikliches Alter wüsste, dann wären eh alle Chancen für ihn vertan. Er sitzt im Büro an einem neuen Projekt und hat einfach keine zündende Idee mehr. Er braucht eine Pause. Er stellt sich auf den Balkon und zündet sich eine Zigarette an. Noch das einzige Laster dass er von früher hat. Genussvoll zieht er das Nikotin in die Lungen ein. Er hat in letzter Zeit zu viel gearbeitet. Er ist innerlich leer. Er sollte sich eine Abwechslung gönnen. Bedingt durch seine Vergangenheit hat er ein sehr spärliches soziales Netz. Seinen Drogenkumpanen hat er allen Lebewohl gesagt und somit sind ihm nur verflossene geblieben. Mit seinen jetzigen Freundinnen hatte er früher einmal Bettgeschichten. Er hat wüste sexuelle Jahre hinter sich. Ein sich nehmen was man will erfüllte ihn. Sex ist sein spezial Gebiet. Da ist er gut, er weiss das! Heute findet er es öde, einfach eine Tussi aufzureissen um eine Nacht mit ihr zu verbringen. Esther hat da Qualitäten, die könnten gut länger halten als nur für eine Nacht. Sexuelle Erlebnisse sind in seinem jetzigen Leben eher Mangelware. Am Schluss des Ganzen fühlte er sich leer und ausgenutzt. Obwohl die Initiative immer von ihm aus kam! Er geht hinein und holt sich sein Handy und wählt. Lange muss er warten bis jemand den Hörer abnimmt. Eine weibliche Frauenstimme fragt ihn auf Englisch was er denn will. Er fragt nach Adrian Wagner. Er muss einen Augenblick warten dann hört er die vertraute Stimme von Adrian.

„Ja wer ist da?“

„Hei du, ich bin es Jürg.“

„Na du alte Tante, schon eine Ewigkeit her seit wir uns gehört haben. Wie läuft es denn bei dir?“

„Wie immer, eher langweilig.“

„Dann müssten wir mal wieder zusammen in den Ausgang gehen und auf den Putz hauen!“

„Das wäre Klasse! Wie läuft es denn bei dir?“

„Muss aufpassen, die wollen mich hier verheiraten. Doch was soll ich denn nur mit einer Frau?“ -er ist immer noch der Gleiche- denkt Jürg.

Es tut ihm gut sich einwenig mit seinem besten Freund auszutauschen. Wie immer endet das Telefonat mit der Frage von Adrian: „Und wann kommst du mich nun besuchen?“

„Wer weiss, vielleicht schon bald.“

„Das sagst du doch jedes Mal!“

„Diesmal meine ich es so.“

„Du weißt, du bist immer bei mir willkommen. Ein Anruf genügt und du hast die beste Suite reserviert.“

„Ich werde es mir merken, Adrian. Bis bald also!“

„Ja halt die Ohren steif, bis bald!“ Er hat aufgelegt. Bedächtig klappt er sein Handy zu und geht wieder herein. Doch die kurze Pause war zuwenig, seine Kreativität lässt noch auf sich warten. Kurzerhand löscht er das Licht und macht Feierabend. Auf dem Weg zum Auto ruft er bei Esther an.

„Ja hallo?“

„Hallo hier ist Jürg.“

„Hai Jürg, wie geht es dir?“

„Das wollte ich dich fragen.“

„Mit geht es gut.“

„Ich wollte dich fragen ob du Lust hast mit mir ins Kino zu kommen heute?“

„Heute? Was ist denn heute für ein Tag?“

„Mittwoch.“

„Mittwoch hab ich Lisa, morgen hätte ich Zeit.“

„Gut dann halt morgen.“

„Vor dem Kino um halt acht?“

„Ja ist gut, vor dem Kino.“

Und schon ist das Gespräch vorbei. Jürg möchte heute Gesellschaft und ist sich am überlegen wen er denn noch anrufen könnte als er auf der anderen Strassenseite Claudia sieht. Er ruft ihr nach! Keine Reaktion, er beginnt zu rennen und holt sie kurz vor der U-Bahnstation ein. Er hält sie am Arm fest. Sie macht eine unwillige Bewegung um ihn los zu werden als sie sieht wer es ist.

„Jürg, du?“ Er schnauft noch wie ein Walross!

„Warte“ ein paar Atemzüge „Bin gleich da“ wieder ein paar Atemzüge.

„Du solltest wohl mal Fitness machen“ lacht sie ihn aus!

„Geht schon wieder. Hast du Sand in den Ohren?“

„Weshalb?“

„Ich habe dir hinterher gerufen wie ein verrückter!“

„Sorry!“ Da stehen nun die beiden und Jürg hat keine Ahnung warum er ihr hinterher gerannt ist. Es war einfach ein Impuls.

„Was machst du denn in dieser Gegend?“

„Hab mein Büro ein paar Blocks von hier entfernt“ er zeigt mit der Hand in die Richtung.

„Und schon Feierabend?“

„Ja, ich bin ja mein eigener Chef“ er grinst „Hat auch Vorteile.“ Sie lächelt zurück.

„Wie man sieht!“

„Nein im Ernst mir sind die Ideen ausgegangen. Aus Erfahrung weiss ich dann, ich brauche eine Unterbrechung.“

„Das kenn ich gut. Ich bin am Schreiben und auf einmal keine Chance mehr ein Wort zu finden. Dann klappe ich den Computer zu und mache was völlig anderes.“

„Du schreibst, was schreibst du denn?“

„Romane.“

„Ich hatte keine Ahnung.“

„Wollen wir noch lange so stehen?“ Sie schaut ihn mit einem Blick an, den er noch nie bei einer Frau gesehen hat. „Es hat wohl seinen Grund, dass du mir so hinterher gerannt bist?“

„Wie gesagt es war einfach ein Impuls. Hast du denn etwas Zeit übrig.“

„Ich nehme mir diese Zeit wenn es für mich stimmt.“

„Ich wollte eigentlich ins Kino doch alleine…“ er schaut sie an.

„Aha eine versteckte Einladung?“ Sie schmunzelt „ was läuft denn?“

„Das müsste ich erst noch nachschauen sorry.“

„Überredet, gehen wir und lassen uns vom Programm inspirieren.“ Sie nimmt seinen Arm und dirigiert ihn die Treppe zur U-Bahn hinab. Zwei Stationen und sie sind mitten im Zentrum. Feierabend, hastige Menschen die auf dem Trottoir laufen, Autos die hupen. Naja man ist es ja gewohnt.

„Welche Filme gefallen dir?“

„Solche zum lachen“ kommt prompt die Antwort.

„Du meinst Komödien?“

„Ja, ich gehe gerne ins Kino um den Alltag zu vergessen. Ich brauche da keine Belehrungen, da möchte ich lieber nur Spass.“

„Was hältst du von dem da?“ er zeigt auf ein paar Bilder.

„Den hab ich schon gesehen, ist echt lustig.“ Sie vergleichen, schauen und reden und kommen auf keinen grünen Zweig.

„Sieht so aus, als ob alles dagegen spricht, dass wir ins Kino gehen. Wie wär’s dann mit einer Pianobar?“

„Eine Pianobar, ob ich dazu richtig angezogen bin?“ Er schaut sie von oben nach unten kritisch an und nickt nur mit dem Kopf.

„Naja könnte so knapp gehen!“ meint er dann.

„So eine Frechheit!“ lacht sie ihn an.

„Also komm ist eh nur um die Ecke.“

Jürg hatte Recht. Nach zehn Minuten sind sie schon da und die Bar gefällt Claudia sehr. Sie ist den Pubs von England nachgemacht und hat einfach noch ein Klavier in der Mitte stehen an dem ein junger Mann am spielen ist. Claudia muss zweimal schauen, das ist doch!

„He Peter!“ ruft sie den Spielenden an. Er schaut auf und hört auf zu spielen.

„Cölaudia, was tust denn du da?“

„Jürg das ist Peter, Peter das ist Jürg. Wir haben uns per Zufall getroffen wollten ins Kino und sind nun hier gelandet.

„Ich mach gleich Pause, bin gleich bei euch.“

„Ja schön, nur kein Stress. Komm Jürg setzen wir uns.“

„Woher kennst du den Peter“ will Jürg nun wissen.

„Oh von einem Igel!“ sie lacht ihn unverfroren an.

-Flirtet sie mit ihm?- er ist unsicher wie er reagieren soll, nimmt dann aber das Spiel auf.

„Und was hat dir der Igel denn so erzählt?“

„Sehr viel, aber das ist unser Geheimnis!“

In der dämmrigen Bar glänzen die dunklen Augen von Claudia noch mehr und sie sieht richtig schön aus! -Der Abend fängt ja gut an- denkt Claudia uns ist sehr gespannt was denn noch so auf sie zukommen wird. Sie sind viel länger in der Bar geblieben als sie wollten, es ist schon nach Mitternacht als sie wieder auf der Strasse stehen.

„Wie kommst du heim?“

„Es fährt keine Bahn mehr und du?“

„Ich habe mein Auto hinter dem Gebäude geparkt, darf ich euch heimfahren“ anerbietet sich Peter. Jürg hat eindeutig einwenig zu viel getrunken und ist so richtig redselig geworden.

„Ich denke wir fahren ihn erst heim“ sagt der Fahrer zu Claudia.

„Ja gut, ich weiss wo er wohnt.“ Schweigend fahren sie nun durch die hellerleuchtete Stadt.

„Jürg wir sind da, komm aussteigen“ Claudia hat ihm die Autotüre geöffnet und hilft ihm heraus. „Einen Moment Peter.“

„Warte ich helfe dir“ schon steht er neben den Beiden. Mit vereinten Kräften bringen sie den Betrunkenen ins seine Wohnung und setzen ihn auf das Sofa.

„Und was jetzt?“

„Jürg, wir gehen wieder“ Peter hält ihn am Arm um seine Aufmerksamkeit auf ihn zu ziehen.

„Kein Problem ich komme schon zurecht.“ Etwas wackelig steht Jürg dann auf wie um zu beweisen, dass er es kann.

„Gute Nacht“ wünscht ihm Claudia.

„Gute Nacht meine Schöne!“

„Tschüss“ ruft ihm Peter noch zu. Claudia schliesst die Türe und muss loslachen. Süss sah er aus, der liebe Jürg.

„Wo wohnst du?“

„Auf der anderen Seite.“

„Wie ich.“

„Ah.“

Dann Stille. Peter ist die ganze Zeit am überlegen was er mit Claudia denn reden könnte und sie geniesst einfach die Stille.

„Willst du noch auf einen Kaffee herein kommen?“

Ganz überrascht schaut er sie an. „Mhm ja äh ja gerne!“ gibt er dann zur Antwort.

„Na dann stell den Motor aus und komm!“

-Diese Frau macht aus ihm einen Hampelmann. Wie steht er jetzt nur da?- Claudia nimmt ihm die Verlegenheit weg indem sie zu ihm sagt: „Peter ich bin davon überzeugt, dass wir uns in einem anderen Leben schon einmal begegnet sind. So wie wir uns auf Anhieb verstehen muss es so sein.“ Sie schaut ihn an.

„Ist schwer für mich zu glauben.“

„Wir zwei verstehen uns wirklich toll, oder?“ Er nickt Zustimmung.

„Für mich bist du ein Kumpel, ein richtig toller Kumpel, mit dem man Pferde stehlen könnte. Eine Liebesbeziehung ist etwas Anderes. Darum fühle ich mich bei dir so unbeschwert, weil ich sicher bin, du bist für mich ein Mensch, kein Mann.“

„Ich bin aber ein Mann und es verwirrt mich, dass ich mich so gut mit dir verstehe.“

„Lass es mich für dich entwirren. Wir haben uns getroffen um uns gegenseitig beizustehen, aber als Freunde, Peter, nur als Freunde. Wir werden kein Liebespaar, glaub mir!“

„Ich bin ja so froh dass du das ansprichst. Ich habe mir in der letzten Zeit viele Gedanken gemacht wegen uns. Es ist für mich neu, mich einer Frau so nahe zu fühlen und doch zu wissen oder besser zu glauben es hat keinen Zusammenhang mit Sex.“

„Dann haben wir das ja geklärt. Besser?“

„Ja“ er umarmt sie „Viel besser.“ Sie gehen ins Haus.

Jürg erwacht am nächsten Morgen mit etwas Kopfweh. Zu viel Bier gestern! Es wird fast zehn Uhr bis er in seinem Büro ist. Der Entwurf von gestern hat sich leider um keinen Strich vergrössert. Er sitzt da und starrt ihn an. Was fehlt? Irgendwie sieht es vollkommen aus und doch? Sein Telefon klingelt.

„Ja hier Architekturbüro Jürg.“

„Ich bin es Clauida.“

„Ah hallo.“

„Na wie geht es?“ er hört ich lächeln durch das Telefon.

„War ich so schlimm gestern?“

„Schlimm ist wohl kaum der richtige Ausdruck, du warst einfach betrunken.“

„Ist schon eine Weile her, dass ich so viel getrunken habe!“

„Wenn es nur selten vorkommt….?“

„So wie es aussieht ist mein Kopf unfähig zu arbeiten. Kommst du mit mir an den See?“ Ganz spontan ist ihm die Idee gekommen.

„An den See?“

„Ja ich hab da ein kleines Motorboot, wir könnten auf den See fahren.“

„Dazu ist es sicherlich zu kalt.“

„Dann zieh dich doch einfach warm an!“

„Du machst Witze!“

„Nein ich bin ganz ernst, also kommst du?“

„Gut dann komm und hol mich ab.“ Sie legt auf.

-Was hat er sich denn nur dabei gedacht? Es ist wirklich zu kalt um raus zu fahren.- Er pfeift ein Lied, nimmt seine Lederjacke vom Haken und macht sich auf den Weg. Der Entwurf muss bis zum Wochenende fertig sein. Er hat nur noch heute und morgen. Und obwohl er sich das bewusst ist fährt er mit dem Auto Richtung Claudia. Sie ist angezogen und wartet auf ihn.

„Na du siehst ja aus wie vom Norpol!“ begrüsst er sie.

„Es ist kalt, Jürg und wenn du bei der Idee bleibst, ich will auf keinen Fall frieren.“

Am Hafen angekommen sind sie die einzigen Verrückten die das Boot klar machen. Bald schon tuckert der Motor und sie sind startklar.

„Also denn!“

„Also denn.“

Sie fahren los. Obwohl das Boot nur relativ langsam fährt ist der Gegenwind schon recht kalt. Claudia wickelt sich den Schal noch ums Gesicht und zieht die Handschuhe an.

„Zuviel versprochen?“

„Es gab kein Versprechen von dir, Jürg, du hast nur gesagt es wird kalt.“

„Wohin sollen wir?“

„Ich denke bis zum nächsten Hafen genügt vollkommen?“ Er schaut sie an und nickt.

„Ai ai Käptain, bis zum nächsten Hafen!“ Sie lacht aus voller Kehle und sagt.

„Wir sind Piraten oho!“

„Fluch der Karibik?“

„Ja, hast du ihn auch gesehen?“

„Na sicher doch.“

Halb erfroren steuern sie nach einer Weile wieder in den Heimathafen. Die Finger sind so klamm, dass Claudia Schwierigkeiten hat, die Haken zu befestigen und Jürg kommt ihr zu Hilfe. Eine Welle schaukelt unerwartet das Boot und Claudia muss sich an ihm festhalten. Für einen winzigen Moment sieht sie ein Flackern in seinen Augen, dann ist es wieder vorbei. Stumm arbeiten sie am Boot schweigend weiter. Jürg gibt ab und zu eine Anweisung, endlich habe sie es geschafft. Alles ist am rechten Ort.

„Trinken wir noch etwas Heisses bevor wir gehen.“

„Gute Idee.“ Sie gehen in die Hafenkneipe. Eine ganz einfache Beiz. Claudia bestellt sich eine heisse Schokolade der sich Jürg anschliesst. Er langt über den Tisch und nimmt ihre Hände in die seinen.

„Eiskalt, lass sie mich etwas wärmen.“

Seine Hände sind warm und angenehm. Er hat lange feingliedrige Finger. Der erste Impuls ist, die Hände wegzuziehen, wie wenn er das voraus gespürt hätte, gibt er Gegendruck.

„Lass mich, bitte!“

Sie lässt ihn. Die Schokoladen kommen und er gibt ihre Hände frei. Sie wärmt sie an der Tasse. Irgendwie ist ein Knistern in der Luft. Für Claudia unverständlich ist sie doch noch älter als Esther!

„Wollen wir?“ Fragt er sie, nachdem sie ausgetrunken haben.

„Ja gehen wir.“ Etwas beklommen ist ihr schon zu Mute. Jürg fährt sie ohne Zwischenhalt zu sich nach Hause und sie steigt auch sofort aus.

„Danke.“

„Gerne.“

Und weg ist er. Claudia steigt sofort in ein heisses Bad um sich noch mehr aufzuwärmen. Es war einfach zu kalt! Was für einen Blödsinn war denn das? Doch wenn sie daran denkt dann muss sie lächeln und ihr Gesicht erstrahlt vor Wärme. Jürg sitzt auch in der Wanne. Es war wirklich Arschkalt! Er muss, es ist ein Zwang, keine Chance er muss. Er ruft an!

„Ja Claudia.“

„Hei du wieder aufgewärmt.“

„Komme gerade aus der Wanne und du?“

„Ha ich auch.“

„War irgendwie obercool, oder?“

„Die Erinnerung ist besser als das Erleben.“

„Und was machst du heute noch so?“

„Ich hab noch eine Klientin und du?“

„Ich müsste noch das Projekt fertig gestalten. Es fehlt einfach etwas. Ich spüre es ohne es zu sehen.“

„Das wird schon.“

„Würde es dir etwas ausmachen wenn du es morgen mal besichtigen kommst.“

„Ich? Ich habe keine Ahnung von der Architektur.“

„Es würde mir aber eine Freude sein es dir zu erklären.“

„Wenn du meinst?“

„Heisst das ja?“

„Mhm heisst ja.“

„Wann?“

„Am Morgen gib mir noch die Adresse.“ Sie hängt fröhlich auf. –Morgen- Er hängt gutgelaunt auf. -Morgen- Er schaut auf die Uhr. Oh es ist schon fast sieben. Er hat ja noch mit Esther abgemacht. Schnell zieht er sich um und geht los.

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