REGULA ist nach dem Gespräch mit Claudia guten Mutes und froh. Sie sieht was zu ändern wäre viel besser und macht sich selbst viele Vorschläge. Doch als sie dann am nächsten Morgen aufwacht ist wieder alles so wie immer. Warum soll sie ausziehen? Sie liebt ja ihren Mann sagt sie sich. Und somit schaufelt sie weiter ihre Wut in sich hinein. Sie spielt die liebe Hausfrau und die gute Geliebte. Warum soll ich denn etwas ändern, es geht mir doch gut. Mit diesem Gedanken beruhigt sie sich immer und immer wieder. Die Wut und ihr Unvermögen für sich einzustehen schluckt sie tapfer in sich hinein. Sie will übersehen, dass sich ihr Mann im Ausland wo er geschäftlich viel zu tun hat ein zweites Leben aufgebaut hat. Auch dort hat er eine Frau und ein Kind. Nur ist diese Frau zwanzig Jahre jünger wie sie! Die Tage kommen und gehen. Sie fühlt sich immer mehr Energielos und muss sich so richtig zwingen aufzustehen, zu funktionieren. Sie sind zu zweit diese Nacht er ist da!
„Du hast zugenommen, Regula.“
„Entschuldigung.“
„Na mach etwas! Wir haben ja das ganze Fitnesscenter hier im Haus. Also mach etwas. Schau dich doch an! Du lässt dich gehen!“ Und er dreht sich um zu schlafen. Kein Sex heute, ihm ist der Appetit vergangen. Regula liegt noch lange wach. Sie fühlt sich schuldig, sie fühlt sich alt!
Sie ist wieder alleine zu Hause und versucht sich mit den Mantras über Wasser zu halten. Pflichtbewusst betet sie 108 mal jeden Tag ihr persönliches Mantra das ihr der Guru gegeben hat. Doch die Energielosigkeit bereitet sich immer mehr aus. Schon schläft sie jeden Tag bis elf Uhr. Mit Mühe und Not bereitet sie dann etwas zu essen, isst wie immer alleine in der imensgrossen Küche und fühlt sich komplett verloren. Ihr Mann kommt und geht. Schaut sie an und sagt.
„Reiss dich doch etwas zusammen Regula du hast ja alles was du brauchst. Wo bleibt denn deine Dankbarkeit?“
Seine Worte verletzen sie tief. Sie fühlt sich nur noch als die ausrangierte Mutter seiner Kinder. Zwei wohnen im Haus und auch sie bemerken den Tiefgang ihrer Mutter kaum. Zu sehr beschäftigt mit ihrem eigenen Leben sehen sie in der Mutter die Frau die kocht, putzt, bügelt. Langsam beginnt Regula in eine Depression zu versinken. Alles wird ihr egal. Sie wäscht sich kaum noch, isst aus dem Kühlschrank was es gerade so hat. –Einkaufen sie müsste mal wieder einkaufen gehen– Wie ein unüberwindliches Hindernis nistet sich der Gedanke bei ihr ein. Da sie sehr viel alleine ist vergeht eine geraume Zeit, bis ihr Mann bemerkt was denn mit ihr los ist. Es ist für ihn unbegreiflich, sie hat doch alles, er gibt sich soviel Mühe!
„Geh mal zum Doktor du siehst ja furchtbar aus!“
„Wie du meinst? Wie soll ich denn da hin kommen? Das ist ja so weit weg!“ Sie sitzt am Küchentisch und schaut ihm zu wie er einen Apfel in Stücke schneidet. Ihr Mann ist mit den Gedanken schon beim Geschäft und der Reise die er gleich antreten wird.
„Mein Zug geht in einer halben Stunde. Zieh dir was an. Wir müssen gehen.“
„Gehen? Wohin gehen? Ich mag hier bleiben. Ich möchte einfach hier sitzen bleiben.“
„Mach kein Theater, wir haben das doch schon zig Mal besprochen. Deine Eifersucht macht mich krank. Los komm hoch, ich muss gehen.“
„Dann geh doch! Ich habe keine Lust aufzustehen. Mir gefällt es hier am Küchentisch.“
Jetzt schaut Karl seine Frau etwas aufmerksamer an. Ihre Augen sind ins Leere gerichtet. Er bemerkt auf einmal wie verwahrlost sie ist. Ihr Gesicht ist ganz schmal geworden. Was soll er tun, er muss gehen. Er bestellt sich ein Taxi und ruft beim Arzt an. Er beschreibt ihm den Zustand von Regula so gut er kann. Der Arzt ist schockiert und möchte sie sofort einweisen.
„Was meine Frau kommt auf keinen Fall in die Psychiatrie! Was denken sie denn was die Leute sagen werden!“ Er hört wieder eine Weile zu. „Gut dann bringe ich sie selbst und nehme einen Zug später. Ich mache mich gleich auf den Weg.“ Er geht zurück in die Küche. Regula sitzt immer noch genau gleich am Tisch und strahlt vor sich hin. Sie hat sich in ihre Welt zurückgezogen!
„Regula, komm, wir müssen gehen!“ Sanft löst sie sich von seinen Armen und schaut ihn an.
„Gehen, wohin gehen, ich bin wohl hier, es gefällt mir hier. Die Sonne scheint so warm, die Vögel zwitschern so wunderschön. Nein lass mich doch noch eine Weile hier.“
„Regula komm zieht dir die Schuhe an wir müssen.“ Er packt sie etwas Rauer an und dirigiert sie zum Taxi. Die Fahrt in die Klinik verläuft ruhig. Wie wenn jemand vor ihnen die Strassen leer fegt, damit sie besser durch kommen. Die Schwester nimmt Regula auf und führt sie in ihr Zimmer. Karl erledigt noch die Formalitäten und fährt dann wieder heim, steigt in den Zug um zur andern Frau und zu seinem anderen Leben zu gelangen. Er versucht keinen Gedanken an Regula in ihm hochkommen zu lassen. Doch das eintönige Rattern des Zuges erschwert dies enorm. Sein Verstand will arbeiten, sein Herz meldet sich. Es ist seine Frau, die er da eben abgegeben hat. Die Mutter seiner Söhne und Töchter. Um sein Gewissen zu beruhigen ruft er bei Claudia an. Er weiss, Regula war mal bei ihr.
„Hallo da ist Claudia.“
„Mhm hallo, hier ist Karl. Ich bin der Mann von Regula.“
„Grüss dich Karl.“ Ihre Freundlichkeit erleichtert dem Mann nun zu sagen was er sagen will.
„Ich wollte dir, Ihnen“ sie unterbricht ihn, „gerne du!“ „also ich wollte dir nur sagen, dass ich Regula eben in die Klinik gebracht habe.“
„In welche?“ Er muss sich überwinden um es zu sagen. „In die Psychiatrische.“
„Gut, dann werde ich sie besuchen gehen.“ Keine Vorwürfe, keine Fragen, nur Tatsachen.
„Das wäre schön, danke.“
„Wie kann ich dich erreichen?“
„Auf diesem Handy, soll ich dir die Nummer geben.“
„Nein, danke, Karl dann habe ich sie.“
„Gut, dann bis denne?“ Was soll er denn noch sagen?
„Ja schöner Tag, bis denne.“
Sie hängt auf und überlegt. Wann war denn Regula bei ihr. Sicher die Anzeichen waren damals schon einwenig da. Doch wie es eben so ist, entweder man ändert von sich aus oder das Leben greift ein. So wie es bei ihr ganz krass eingegriffen hatte!
CLAUDIA versteht sich wunderbar mit Georg. Es sind mehrere Kaffees geworden in der Zwischenzeit und sie hat ihn schätzen gelernt. Wie es der Zufall eben will! Es ist schon dunkel draussen und die Nacht senkt sich leise über der Stadt. Claudia hat sich einen Tee gemacht und ist bereit um schlafen zu gehen. Es ist auch schon etwas spät. Ihr Handy gibt Sms-Zeichen.
„Noch wach? Lg Georg?“ sie lächelt und schreibt schnell zurück.
„Ja so halb“ Keine Sekunde später klingelt das Telefon.
„Hier ist die Polizei, was möchten sie melden?“ Georg geht sofort auf das Spiel ein. „Ich vermisse Gesellschaft, sie hat sich davon gestohlen!“
„Hihi, ja so kann man es auch sagen. Guten Abend.“
„Hallo, na was machst du noch so?“
„War gerade am Grübeln?“
„Dann versuchen wir es doch mal zusammen, vielleicht entsteht dann sogar noch etwas Gescheites!“ Sie blödeln hin und her. Dann wird Georg ernst.
„Ich höre an deiner Stimme das dich etwas Bedrückt. Kann ich dir helfen? Du weißt, ich bin ein guter Zuhörer.“
„Ach Georg, es ist einfach nur meine Situation.“
„Dann bitte erklär mir deine Situation mit deinen Worten.“
„Ich soll dir alles erzählen, dass geht viel zu lange.“
„Bist du müde? Ich fange erst an aufzuwachen!“
„Müde, ja auf eine Art bin ich müde, ich bin etwas müde vom Leben. Das ist alles.“
„He wo ist denn deine Vitalität hin. Nein, sorry“ widerspricht er sich schnell „ich verstehe dich. Doch vielleicht wäre es heilsam mal alles rauszukotzen. Einfach mal alles so zu erzählen wie es dir in den Sinn kommt. Wenn du dich selbst reden hörst“ er unterbricht sich kurz „da hab ich schon echt viel Erkenntnis damit gewonnen, kommt dir vieles einfacher vor. Willst du es versuchen?“
„Versuchen mit erzählen?“
„Ja klar, nur einen Moment, ich hole mir einen Kaffee dazu. Nur einen Moment“ weg ist er.
Während sie wartet, versucht sie ihre Gedanken zu ordnen. –Wo soll sie anfangen? Mit was soll sie anfangen? Soll sie überhaupt anfangen?-
„Bin wieder da, nun denn, fang an Claudia ich bin ganz Ohr.“
Sie räuspert sich, „Gut denn, ich fange an.“
„Mhm“
„Innerhalb von den letzten 15 Jahren habe ich mir ein eigenes Geschäft aufgebaut mit den Ponys.“
„Du hattest Pferde?“
„Ja hatte ich und zwar neun im Ganzen jetzt habe ich noch zwei.“
„Sollte keine Unterbrechung sein, bitte fahre fort.“
„Dann kündigte mir der Bauer den Stall. Genau vor 18 Monaten. Ich war zwei Mal bei der Schlichtungstelle damit ich Aufschub bekam. Ich war so sicher Georg, ich war einfach so sicher, dass es weiter gehen wird!“ Sie pausiert. Er wartet.
„Da ich keinen Stall fand zum mieten musste ich wohl oder übel anfangen die Pferde zu verkaufen.So viele erfolglose Telefonate um einen neuen Stall zu finden. Nirgends Erfolg. Wie würde es dir gehen wenn du dein Lebenswerk aufgeben müsstest? Einsehen musst dieser Weg ist hier und jetzt zu Ende? Bis heute bin ich noch am verdauen.“ Georg bleibt stumm und wartet. „Viele Gedanken, unzählbare Gedanken kreuzen auf! Gefühle die fast erdrücken, mich so richtig runter zogen. Trotz dem Vertrauen, das ich ja im Unterbewusstsein immer noch hatte sind bis heute die Warums allgegenwärtig! Ich habe noch keine Antwort gefunden.“
„Bist du dir denn sicher, dass es eine Antwort geben muss? Ich habe gelernt mich um die Warums zu drücken, sie einfach auf die Seite zu schieben weil ich fast immer und erst viel später die Antwort wenn überhaupt bekommen habe.“
„Weißt du Georg ich bin eben der Ansicht, dass ich mir alles selber ins Leben hole. Oder mal wenigstens zum Grössten Teil. Im Falle der Pferde war ich schlichtweg überfordert. Ich musste noch viel zu viel Nebenbei arbeiten um alles zu finanzieren.“
„Dann siehst du es als Vorteil an jetzt?“
„Ja und nein, es gibt einfach ein Pferd das ich immer noch liebend gerne wieder zurück hätte. Aber das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Keine Chance, ich muss froh sein, dass ich überhaupt noch zwei haben darf. Wenn ich so richtig ehrlich mit mir bin, mein Unterbewusstsein wusste es schon, mein Körper hat es mir gezeigt. Beide sprachen mit mir nur ich war taub! Es brauchte immer längere Abstände bis ich wieder fit wurde. Ich fühlte mich eingeengt und arbeitete wie wild. Zwei Jobs, die Pferde und dazu der Haushalt. Ach ich habe die Warnungen des Unterbewusstseins einfach ignoriert immer und immer wieder ignoriert. Die Kündigung des Bauern war das Leben, war der Zwang. Man könnte sagen das etwas das ich schon längst wusste nun sich manifestierte. Ich wollte es einfach übersehen! Es musste so sein!“
„Mach dir keine Vorwürfe, Claudia, wir sind nun mal nur Menschen. Und wenn man Tiere gerne hat, dann ist es ja ein Ding der Unmöglichkeit es einfach so zu ertragen. Tiere und Gefühle gehören zusammen. Das ist einfach so.“
„Ich strampelte wie wild um es zu verhindern! Keine Chance es hat sich nirgends eine Türe mehr für mich und die Pferde geöffnet. Immer noch unvorstellbar wie viele Gedanken und Gefühle sich bei mir schon ein Stelldichein gegeben hatten. Dann ein Pferd nach dem anderen wurde verkauft! Ich wurde vom Leben gezwungen zu verkaufen das hat wehgetan! Und zwar mächtig weh getan! Die Pferde sind bei mir aufgewachsen, schon fast eine Ewigkeit die wir zusammen verbracht haben? Mit jedem Pferd ist ein Stück von mir mitgegangen. Wie habe ich das nur geschafft?“ Sie macht eine Pause „Also die Pferde gehen weg, dann der Verkauf unseres Miethauses, unverhoffter Umzug und die Trennung von Reto nach 10jähriger Ehe! Super Timming!“
„Bei dir wird es wohl kaum mal langweilig!“ lacht nun Georg durch die Leitung.
Claudia lässt sich anstecken und lacht mit. „Nein, das sehe ich auch so!“ Das Lachen befreit, lässt es erträglicher werden, lässt etwas Frieden in ihr Herz ziehen. Es ist ja vorbei, es ist ja jetzt vorbei!
„Es ist immer wieder ein Rätsel, warum es bei mir dann doch so gut klappt.“
„Schön dass du das so siehst.“
„Hat gut getan Georg, ich meine das Reden.“
„Hab dich schon verstanden. Immer gerne zu Diensten.“
„Du bringst es immer wieder fertig mich zum lachen zu bringen hab dank dafür.“
„Gerne geschehen, das mach ich doch echt gerne. Was hältst du nun vom Schlafen?“
„Viel und du?“
„Kennst du die Geburtstagskarte mit dem Schlafen?“
„Nein“
Georg räuspert sich und fährt dann fort. „Also du bekommst eine Karte zum Geburtstag und da steht drauf: ich habe mich entschlossen an deinem Geburtstag mit dir ins Bett zu gehen. Klar soweit?“
„Das steht vorne oder?“
„Ja, nun musst du die Karte öffnen und dann steht da jeder um 20h bei sich zu Hause ok?“
Sie lachen beide los!
„Gut, dann gehen wir nun auch zusammen ins Bett. Du bei dir und ich bei mir sobald wir abgehängt haben.“
„Abgemacht“
„Also dann bye!“
„Ja schlaf gut“
„Du auch!“
„Nun häng schon auf!“
„Ich habe angerufen du musst aufhängen!“
„Gut dann mach ich das jetzt!“
„Ja ich warte darauf.“ Pause keiner sagt mehr etwas.
„Bist du noch da!“ kommt es dann von Georg.
„Nein bin schon weg!“
„Ok ich auch!“ er hängt auf mit einem Schmunzeln.
Claudia bleibt noch kurz neben dem Telefon stehen und lässt es wirken. Es hat sie befreit und es hat ihr viel gegeben, dieses Phone mit Georg. Schön das sie immer wieder Menschen zur Seite gestellt bekommt mit denen sie wieder weiter gehen kann. Über das wie, dazu ist es noch viel zu früh! Sie träumt von Tadefi. Er fragt sie im Traum: „Fragst du dich im Ernst warum es dann bei dir doch immer wieder aufgeht? Ich kann es dir beantworten. Du hast dieses Vertrauen. Das unbedingte Vertrauen in das Leben selbst. Denk an die Anekdote vom Knaben der bei einem Weisen lernen wollte? Der Knabe kommt zum Meister. Der Meister hat Tee zubereitet und schenkt ihn nun ein. Die Tasse des Knaben ist voll und er schenkt weiter ein. Die Tasse überflutet, der Tisch wird nass, der Boden wird nass. Der Knabe springt auf und sagt: ‚Meister, die Tasse ist doch voll, warum schenkt ihr denn weiter ein?’ Der Meister antwortet ihm. ‚Die Tasse ist wie dein Bewusstsein. Du bist übervoll mit Wissen und hast demnach kein Platz für Neues. Was willst du also bei mir. Geh und leere deinen Speicher und komm dann wieder.’ Auf dich zurück bezogen keine Energie mehr frei. Deine Jobs, dein ganzes Leben waren so eingerichtet, dass es dir deine gesamte Energie aufbrauchte. Deine Tasse war bis zum Rande angefüllt. Wie hätte da noch etwas anderes Platz gehabt? Du musstest unbedingt die Tasse leeren. Mit dem Verkauf der Pferde hat es angefangen. Die zwei die du nun noch hast, war ja auch ein Zufall oder?“ Claudia muss lächeln an die Erinnerung. Ja es war wie ein Wunder. Anstatt das sie einen Stall suchte rief eine Kollegin an, ob sie mit ihr zusammen einen Stall mieten wolle. Doch meine Tasse war wohl noch zuwenig geleert?
„Du wolltest wieder in die Allee und warten. Du hinterfragt noch einmal alles. Denn das Warten auf das Neue ist die schlimmste Zeit. Wenn man sich nun entschlossen hat die Tasse zu leeren, dann geht man einem neuen Weg entgegen. Bis man gefühlsmässig soviel loslösen, verarbeitet hat, braucht es Zeit. Diese Zeit empfindet man als warten. Als warten auf den Weg der ja nun aufgehen sollte!
„He, ich habe die Pferde verkauft, he ich habe nun mehr Zeit und mehr Energie. Wo muss ich damit hin? Erinnerst du dich?“
„Ja, mein innerer Prozess des Loslösens fordert Zeit. Wenn man diese Zeit mit Arbeit und Geschäftigkeit überbrückt muss das Leben noch einmal mit Zwang eingreifen.“ Tadefi nickt ihr zu. War es den so falsch?“
„Der Unfall?“
„Ja, der Unfall. Zwar nur ein kleiner, aber er hat sich so lange hingezogen, dass du die Zeit fandest zu dir selbst zu finden. Im Grunde genommen ein Geschenk des Lebens. Es hätte ja auch ganz anders kommen können.“
„Da habe ich sofort den Grund erkannt. Da ich ja 100% Arbeitsunfall hatte, stand mir auf einen Schlag soviel Zeit zu Verfügung. Keine Pferde mehr füttern oder misten. Ein neuer Weg wird sich finden!“
„Und? Hast du ihn gefunden?“
Sie lächelt vor sich hin. „Ich bin ihn am gehen und erfreue mich jeden neuen Tag was er wohl bringen wird Tadefi. Ich bin ihn am gehen.“
Wenn man durch das Schlafzimmerfenster von Claudia blickt sieht man ein seltsames Lächeln auf den Lippen der Schlafenden. Der Anblick erfreut das Herz! Neuer Tag, neue Energie, neue Erlebnisse! Claudia geht es gut. Sie hat wie ein Kind geschlafen und fühlt sich ausgeruht und zu neuen Taten bereit! Sie erinnert sich an das Telefon von Karl und denkt nach, fühlt sich hinein. Nein heute ist sicher noch etwas früh ich werde Morgen zu Regula gehen. In der heutigen Zeit brauchen fast alle Menschen so viel Kraft damit sie überhaupt leben können es bleibt kaum mehr etwas übrig um sich ein soziales Netzwerk aufzubauen. Regula ist auch so ein Mensch. Vor lauter Anforderungen ist sie nun alleine. Claudia wird sie besuchen ganz sicher, die Zeit wird kommen.
GEORG ist am packen. Er nimmt so einiges in die neue Wohnung mit.
„Daddy, kann ich dich dann besuchen kommen?“
„Aber sicher Hexlein, so oft du willst, darum habe ich eine Wohnung in der Nähe genommen.“
„Und was ist den mit Mami?“
„Sie wohnt mit dir hier.“ Er hört auf zu packen. Setzt sich auf den Boden neben seine Tochter. „Schau Michelle, deine Mami und ich trennen uns, weil wir uns auseinander gelebt haben.“
„Was heisst das, auseinander gelebt?“
„Unsere gemeinsamen Interessen haben sich verändert. Du merkst ja selbst, dass wir kaum mehr miteinander reden.“
„Aber ihr habt euch doch noch lieb?“
„Das ist denke ich das grösste Problem, wir haben uns noch gern, ich habe deine Mami noch gern. Aber unsere Gefühle füreinander haben sich verändert. Doch du bist immer noch die Königin in meinem Herzen.“ Und sie balgen einwenig über den Boden.
„Kann ich dir helfen beim packen?“
„Wenn du willst, du kannst dort die Schallplatten in den Karton einreihen.“
Er schaut ihr in Gedanken versunken eine Weile zu. Er muss die Tränen unterdrücken, er darf nun seine Tochter nur noch bedingt sehen. Nur noch beschränkte Zeit die sie mit ihm verbringen wird. Das schmerzt ihn am meisten! Seine Tochter ist für ihn ein und alles. Die Türe geht und Mäggi kommt heim. Er hört wie sie den Schlüsselbund ablegt, die Treppe hinauf steigt und in die Küche geht.
„Schätzchen, Michelle wo bist du?“ ruft sie dann.
„Ich helfe Daddy beim packen.“
Schon steht die Mutter in der Türe. Ein kurzes hallo zu Georg. „Du kannst mir helfen beim kochen Mäuschen.“
Georg spürt sofort den Konkurrenzkampf der sich da anbahnt. Er möchte verhindern, dass sich Michelle in der Mitte geteilt fühlen muss. „Geh nur, ich bin hier eh gleich fertig“ schickt er sie los. Er hört die beiden Frauen in der Küche schwatzen, muss inne halten um sich zusammen zu reissen. Nein, er wird stark sein, Mäggi soll nur denken es gehe ihm leicht von der Hand mit dem ausziehen. Er wird sich keine Blösse geben!
„Daddy, das Essen ist fertig!“
Er begibt sich ins Esszimmer und sie setzen sich gesittet an den Tisch. Michelle plappert während dem ganzen Essen munter drauf los. Erzählt von der Schule, von ihrem Klavierunterricht von ihrer Freundin. Die Eltern geben ab und zu einen Kommentar dazu. Ansonsten herrscht eher Schweigen. Michelle ist im Bett. Mäggi sitzt vor dem Fernseher.
„Du hast also eine Wohnung gefunden? Schön das ich auch noch orientiert werde.“
„Ja ich habe gestern Abend zugesagt.“
„Du kannst Michelle nur jedes zweite Wochenende sehen. Und im Moment wird es für sie sowieso besser sein wenn du sie weniger sehen wirst.“
„Warum soll das für sie denn besser sein! Mach keine Spiele mit Michelle um mir weh zu tun! Da kenne ich dann keinen Spass! Verstehst du!“
„Im Moment habe ich das Sorgerecht und kann entscheiden!“
„Keine Manipulation über Michelle! Lass das Tier in mir ruhen!“ droht Georg. Bevor sie noch antworten kann dreht er um und verlässt die Wohnung. Er muss raus! Er muss seinem Ärger, seiner Verletztheit Luft verschaffen. Sein Weg führt ihn unbewusst in die Gegend in der Jasmin, seine langjährige Freundin wohnt. Er ist zu aufgewühlt um sich anzumelden, er geht direkt hin und klingelt. Sie ist zu Hause und öffnet schnell die Türe. Als sie Georg sieht versteht sie sofort.
„Komm herein“ sie öffnet die Türe weit schliesst hinter ihm zu und nimmt ihn einfach ohne Worte in die Arme. Diese Berührung löst seine Verspannung und er fängt an zu weinen. Jasmin lässt es einfach zu und führt in dann in die Stube. Als er sich einwenig beruhigt hat geht sie in die Küche um Kaffee zu kochen. Er sitzt auf dem Sofa leer und ausgelaugt. Seine heile Welt ist in die Brüche gegangen. Ein Weg ist zu ende gegangen. Sicher es wird wieder neue Wege geben, doch im Moment erschüttert die Veränderung in seinem Leben ihn wie ein Erdbeben. Jasmin kommt mit dem Kaffee zurück und setzt sich ihm gegenüber. Sie versteht, fordert ihn auf zu reden und hört nur zu. Sie kennen sich schon zwanzig Jahre, sie versteht ihn gut. Beruhigt einigermaßen im Lot verlässt dann Georg viel später die Wohnung wieder. Er geht einen Umweg, das Gehen ordnet seine Gedanken. Schon über ein halbes Jahr sucht sich Mäggi einen neuen Partner. Er fühlt sich so etwas von verarscht und ausgenutzt! Zum zahlen ja da ist er noch gut genug! Verdammt! Wie konnte das nur passieren! Er sucht auch Schuld bei sich denn es braucht ja bekanntlich immer zwei. Aber so, wieso so? Nein, er findet keine Antwort die ihn befriedigen würde! Schlapp und müde sinkt er dann, wieder daheim, ins Bett. Morgen, ja Morgen wird er ausziehen, dann wird es besser werden. Diese Spannung zu Hause ist unhaltbar! Er findet dann für ein paar Stunden Schlaf wacht unausgeruht früh auf und beginnt mit dem Umzug. Seine Freunde kommen erst etwas später und helfen ihm. Abend, er ist eingezogen und sitzt in der chaotischen Wohnung auf dem Sofa und trinkt ein Bier. So sieht es nun also aus! Ok da muss er nun durch. Doch erst Morgen, heute lässt er mal alles so wie es ist. In der Nacht träumt er von Tadefi. Der Mönch lächelt ihm gütig zu und führt in auf der Allee ein bisschen weiter. Er sieht da links und rechts einen Weg am anderen. Jeder verschieden einladend.
„Warum sind da so viele Wege?“
„Du bist an einer Wegkreuzung angekommen, Georg, darum eröffnen sich dir nun ganz viele neue Wege.“
„Mein Interesse für neue Wege hält sich noch in Grenzen.“
„Ja das mag wohl sein, doch sei dir auch bewusst, wenn du keinen Weg wählen wirst, dass das Leben dann für dich wählen wird.“
„Wie soll ich das nun verstehen?“
„Nehmen wir einmal deinen Beruf. Du hast eine Weiterbildung, die dein Geschäft dir angeboten hat ausgeschlagen, weil du für drei Monate dann weg von Michelle gewesen wärst. Nun es wird sich ein anderer Weg auftun. Du weißt es kommt ein neuer Chef.“
„Ja, ich weiss und ich mache mir viele Gedanken deswegen. Aber ich lasse es laufen.“
„Dann sei einfach offen für Wege. Manchmal bieten sie sich so überraschend an, dass die Chance sie zu übersehen gross ist.“
„Ich werde die Augen offen halten, Tadefi, aber im Moment fordert mir das Leben soviel ab das kein Platz für etwas Neues ist.“ Er nickt nur und entfernt sich immer mehr am Horizont bis er ausser Sichtweite von Georg ist. Beim Aufwachen hat er dann noch eine kleine Erinnerung an den Traum doch er lässt ihn so stehen.
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