ESTHER

 „Hallo Mami“ Lisa wirft ihren Tornister in die Ecke, geht zum Kühlschrank, öffnet die Türe, schaut kurz rein, holt sich eine Limo raus und setzt sich an den Küchentisch.

„Na kleines Fräulein, wie war denn dein Tag?“ Esther schaut kurz auf.

Die Angesprochene zuckt mit den Schultern. „Es geht so“ Dann steht sie auf, nimmt den Schulsack und verschwindet in ihr Zimmer.

Das Abendessen ist fertig. Die Familie sitzt am Tisch. Wie immer ist da diese unausgesprochene Spannung, wie immer versuchen die Eltern gefährliche Themen zu vermeiden. Das Essen ist Gewohnheit, das ganze Leben ist Gewohnheit geworden. Keine sexuellen Übungen mehr, kaum mehr Diskussionen. Der einzige Gesprächsstoff zwischen den Erwachsenen ist ihre Arbeit und Lisa. Die Frau möchte gehen, möchte ausreissen, möchte sich entfalten, einfach wieder leben. Ihr Unterbewusstsein weiss das, doch ihr Verstand lässt sie bleiben. Der Mann, gewohnt der Härtere zu sein, hält einfach aus. Besser so als alleine sein!

Das Essens ist vorbei, Lisa ist im Bett der Mann sitzt vor dem Fernseher die Frau geht schlafen. Zum Glück haben sie so ein grosses Haus dass jeder ein Schlafzimmer für sich bewohnt. Esther kommt aus dem Badezimmer und möchte sich aufs Bett setzen als sie mit einem kleinen Schrei die Hand vor dem Mund wieder aufsteht! In dem Moment wo sie die Bettkante berührt hat, ist neben ihr ein Mann sichtbar geworden. Jetzt wo sie neben dem Bett steht ist da niemand. –Komm Esther, du beginnst zu Halluzinieren! Sie setzt sich wieder. Der Mann manifestiert sich in diesem Moment wieder, doch bevor sie sich entfernen kann hört sie die Stimme: „ Esther, bitte bleib, vertrau mir, ich bin für dich gekommen.“ Erschreckt steht sie zum 2.Mal auf! –Das gibt es nur in meiner Vorstellung!“

Ich bin deine Vorstellung!“ kommt prompt die Antwort.

„Dann kann ich dich auch wieder weg wünschen?“

„Versuche es! Oder gib mir eine Chance. Du brauchst mich und zwar dringend!“

Sie setzt sich wieder. Ihre Schultern hängen nach vorne, sie wagt es den Kopf ein wenig zu drehen. Da sitzt er doch tatsächlich! Ein hübscher Mann in den Besten Jahren. -Er gefällt mir!

„Hahaha“ lacht der Unbekannte auf den Stockzähnen.

„Kannst du Gedanken lesen?“

„Nein, ich bin dein Gedanke.“

Stille.

„Ich habe dich also erschaffen?“

Ein Nicken bestätigt ihr die Frage.

„Bist du für oder gegen mich?“

„Weder das eine noch das Andere. Ich bin für dein Leben.“

„Für mein Leben, ja schön?“ Ihre Stimme ist stark ironisch. „Für welches Leben denn, bitte schön?“

„Siehst du, du brauchst mich?“ er spricht gerade so laut dass es angenehm ist zuzuhören.

„Wenn du meinst?“ Esther schüttelt leicht den Kopf. Sie lässt los und versucht den Verstand weg zu lassen. Denn nach dem Verstand kann das was sie da gerade erlebt, auf keinen Fall stattfinden!

„Ja, ich meine? Und ich freue mich dich auf deinem Weg zu begleiten.“

„Und was soll ich nun mit dir tun?“

„Wir könnten auf reisen gehen. Einen anderen Blickwinkel für dein Leben suchen. Dein jetziges Leben mal einfach so stehen lassen wie es ist und weiter gehen.“

„Hört sich gut an“ seufzt Esther, sie stützt den Kopf in ihre Hände. „Mein Leben hinter mir lassen, einfach stehen lassen. Wie stellst du dir das vor?“

„Vertrau mir?“ Der Mann lächelt sie gewinnend an. Esther wird es ob sie will oder sich dagegen wehrt warm ums Herz.

„Vertrauen, ich soll dir vertrauen?“ Esther lacht laut auf. „Ha!“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe mein Vertrauen verloren.“

„Darum ist diese Reise umso wichtiger! Wir werden es wieder finden, glaube mir!“ Er spricht nun eindringlich, seine Stimme hat an Stärke zugelegt.

„Und wie sollen wir auf die Reise?“ fragend schaut sie ihn an.

„Ich nehme dich einfach mit, du brauchst nur ja zu sagen.“

„Was kann ich dabei verlieren?“

„Verlieren? Wenig, doch du kannst Einsicht gewinnen, vielleicht sogar Mut oder Verständnis, es hängt ganz von dir ab.“

„Wann soll es denn losgehen“ Esther ist müde und möchte nur noch schlafen und diesem Spuk ein Ende bereiten.

„Sofort wenn du willst, leg dich hin und schlafe. Ich nehme dich dann mit auf die Traumreise.“

Sie legt sich hin, ihr Kopf ist schwer geworden, sie hat es satt zu denken, satt zu fühlen, satt zu spüren. Sie will nur noch schlafen. Egal wie diese Reise sein wird. Wenn sie schlafen kann…..gut! „Einverstanden“ murmelt sie, dann schliesst sie die Augen. Sie träumt und fragt: „Wo bin ich?“

„Du bist im Da-Zwischen-Ort Esther. Da wo alle Leute hinkommen wenn sie am Warten sind, wenn sie  eine Verschnaufpause vom Leben brauchen oder einfach keine Kraft haben in ihrem Leben etwas zu ändern. Oder wenn das Leben ihnen schon längst gezeigt hat, es ihnen sogar ins Gesicht geschrien hat, du brauchst eine Veränderung, und es immer noch einfach ignorieren Das Leben ihnen mitteilt, hier ist eine Wegkreuzung und ihr bleibt einfach stehen, dann kommt ihr alle hier an diesem Ort.“ Mit diesen Worten schreitet er vor ihr her durch die grüne Wiese. Das Gras erstrahlt in einem ganz saftigen grün, ein strahlend blauer Himmel erstreckt sich über den ganzen Horizont. Noch etwas benommen folgt sie ihm. Das Gurgeln eines kleinen Baches mischt sich in das Vogelgezwitscher. Sie spazieren dem Bach auf einem schmalen Fussweg entlang der zur Quelle führt. Ihr Begleiter bleibt stehen und dreht sich zu ihr um. „Komm, ich will dir etwas zeigen.“ Sie stellt sich neben ihn und schaut auf das sprudeln des Wassers. Ohne unterlass, strömt das Wasser aus dem Boden, sucht sich seinen Weg durch die Steine und fliesst die Wiese hinunter ins nirgendwo. „So wie diese Quelle ist das Vertrauen“ unterbricht er ihren Gedankengang. „Wie soll ich das verstehen?“ Fragend schaut sie auf. „Das Vertrauen von einem Menschen zum anderen, das Vertrauen in die Liebe, das Vertrauen ins Leben, einfach jegliches Vertrauen zu denen ihr Menschen fähig seid, ist vergleichbar mit dieser Quelle.“

„Wie darf ich dich nennen? Ich wüsste gerne deinen Namen wenn wir schon zusammen auf der Reise sind, na ja ich denke, dass es für mich von Vorteil wäre dich beim Namen zu nennen.“

„Man nennt mich Tadefi, der Sanfte.“

„Tadefi ich werde es mir merken.“ Sie schaut in die Quelle.

„Erklär mir dass bitte noch einmal, so, damit ich es verstehen kann. Warum ist diese Quelle gleich zu setzen mit dem Vertrauen?“

„Du siehst, dass Wasser fliesst unendlich.“ Er schaut sie an. Sie nickt nur mit dem Kopf.

„Du bist also damit einverstanden, dass es fliesst obwohl du keine Ahnung hast woher es kommt?“ Nur ein nicken und ein zuhören.

„Was würde es denn aufhalten, was könnte es denn aufhalten?“

„Wenn wir es zuschütten?“

„Siehst du und genau das macht ihr Menschen mit dem Vertrauen. Ihr schüttet es zu. Meistens braucht es nur eine einzige Erfahrung die schmerzt, um es zuzuschütten. Ihr lässt es oft zu, dass ein einziger Mensch, der euch enttäuscht, emotionale Schmerzen zufügt, der Maßstab wird für alle nächsten Menschen die in euer Leben kommen. Das heisst ihr macht zu, ihr lässt den Strom des Vertrauens versiegen. Wenn ihr es zulässt, dann würde es unendlich strömen. Also ist euer Vertrauen unendlich da, ihr müsstet es nur fliessen lassen. Das ist das ganze Geheimnis. Ihr steuert es, ihr bestimmt es.“

„Mhm, das Vertrauen fliessen lassen, das ist alles. Weißt du, du kannst dies leicht sagen, du hast keine Erfahrungen wie wir!“

„Wie kannst du das wissen? Was macht für dich ein Leben lebenswert was, Esther was? Zugeschüttetes Vertrauen auf keinen Fall. Und wenn ihr im Da-Zwischen-Ort seid dann habt ihr alle, wirklich alle, das Vertrauen zugeschüttet“ er hält kurz inne „nein keine Vorträge.“

„Du bist ziemlich emotional geworden, wollte es ja nur etwas Genauer wissen.“

„Es ist keine Aufregung, es ist nur, du spürst mich emotionaler weil dieses Thema mir wichtig ist. Weil ich es so schade finde, wie viele von euch mit dem Vertrauen umgehen. Fängt schon mit dem Vertrauen in einem selbst an!“ Beide schauen auf das sprudelnde Wasser. „Wenn man das Vertrauen verloren hat ist es sehr schwer es wieder auszubuddeln.“ Esther neigt sich Tadefi zu. „Erzähl mir bitte mehr über diesen, wie sagst du immer, Da-Zwischen-Ort?“

„Am Besten wir gehen gleich dahin.“ Schweigend gehen sie einer hinter dem anderen nun wieder den Weg zurück. Sie kommen in eine Allee. Eine wunderschöne Baumallee. Jeder Baum ist gerade gereckt in den Himmel und ihre Zweige vereinen sich als Dach über den Gehenden. Jeder Baum sieht aus wie der Nächste. Alle ein Abbild des Anderen. Ab und an sind die Zwischenräume der Bäume unregelmässig und wenn man da stehen bleibt, dann erstreckt sich eine neue Allee vor dem betrachtenden Auge mit noch ganz jungen Bäumen oder man sieht einfach nur einen Weg der von der Allee weg geht wie bei Stefanie. Tadefi bleibt vor so einem Abstand stehen.

„Du siehst hier zweigt ein Weg ab. Etwas Neues würde sich hier für dich auftun, eine neue Erfahrung.“ Er lässt seine Worte etwas wirken.

„Das ist ein schöner Weg“ wirft die Frau ein.

„Ich widerspreche dir auf keinen Fall. Jeder Weg ist ein schöner Weg. Du siehst es wachsen da verschiedene Bäume. Hier, in der grossen Allee ist der Weg immer gleich. Keine Veränderung der Landschaft, jeder Baum gleicht dem anderen. Das Einzige was man bemerken kann ist, der Weg beginnt anzusteigen, dass ist alles.“

„Ja, das macht die Allee ja gerade so schön.“

„Übertrage das nun mal auf dein Leben. Ein wunderschönes Leben ohne jegliche Veränderung. Sogar die Farbe der Blätter ist dieselbe! Willst du das wirklich?“

„Weshalb sollte ich mir etwas anderes wünschen?“

„Wach auf Esther, wie kann ich es dir noch deutlicher zeigen?“

„Keine Veränderung“ sie denkt nach. „Mein Leben jetzt, keine Veränderung, das würde heissen, ich und Martin …?“ Sie schweigt. Man kann ihr die Gedanken die nun folgen ansehen! Er lässt sie ihre Gedanken zu Ende denken und wartet ab. Schweigen zu können ist eine Weisheit denn sie erfordert den Mut des Zulassen. Des Zulassen von Gefühlen die herein strömen und einem wie eine Sintflut überströmen können. Mit dem Schweigen nimmt man den Strom in sich auf und schaut einfach mal zu. Zwei Menschen die zusammen schweigen und sich dann immer noch sehr wohl miteinander fühlen, die sind auf eine ganz spezielle Art miteinander verbunden. Menschen die sich wirklich lieben die können gut miteinander schweigen. Menschen die auf der gleichen Welle schwingen, die können auch miteinander schweigen. Nun Tadefi und Esther schweigen miteinander, der Eine wartet und die andere muss zuerst denken.

„Gehen wir ein Stück, ich möchte dir etwas ins Bewusstsein holen.“ Sie gehen auf der Allee ein Stück zurück bis zu einer Abzweigung.

„Schau dir diesen Weg an.“ Er tritt etwas beiseite damit Esther sich in die Mitte des gezeigten Weges stellen kann. Sie sieht vor sich einen Wanderweg der links und rechts mit verblühten Enzianen und Alpenrosen begrenzt ist. Der Weg verliert sich dann im aufwärts gehen in den Steinen. Sie sieht nur den Anfang. Fragend schaut sie nun zu ihrem Begleiter.

„Erinnerst du dich noch an Stefan?“

„Stefan, wieso weißt du von Stefan?“

„Er war einfach auch ein Weg. Du warst verliebt, sogar sehr verliebt, oder?“ Esther ganz nachdenklich. „Ja, ich war verliebt mit allem drum und dran. Schmetterlinge im Bauch etwas knutschen doch das ist vorbei“ sie schüttelt den Kopf. „Ich habe mich für Lisa und Martin entschieden.“

„Es ist vorbei, da gebe ich dir Recht du hast dich für die Ehe entschieden. Doch hier siehst du den Weg, wenn du dich damals für Stefan entschieden hättest. Wie sieht der Weg für dich denn aus?“

„Schön er lädt mich ein ihn zu gehen.“

„Du hast dich für das Leben das du jetzt führst entschieden, wie viele Mütter es tun. Keine falsche Entscheidung, wohlgemerkt. Doch du siehst nun, es gibt immer einen Weg und somit immer Vertrauen in den Weg. Gehen wir doch noch etwas zurück.“ Nebeneinander spazierend eröffnet sich ein Weg nach dem anderen auf der Allee.

„Ich hatte so viele Wege zur Auswahl?“

„Erinnerst du dich denn an keinen?“ Tadefi bleibt stehen um sich ihr zuzuwenden.

„So viele, ich hatte so viele Möglichkeiten?“

„Jeder hat diese Möglichkeiten. Erinnerst du dich als du dich entscheiden musstest das Land zu wechseln?“

„Ja, da habe ich mich aber für die Veränderung entschieden. Und zwar für eine sehr Grosse die ich in mein Leben gelassen habe. Warum bin ich denn doch hier?“

„Alle Wege führen früher oder später wieder hier her. Das Entscheidende daran ist nur, wie lange man denn auf dieser Allee geht.“

„Wenn nun aber alle Wege immer wieder auf diese Allee führen, warum muss ich mich denn entscheiden?“

„Du triffst eine Entscheidung diese Erfahrung, genau diese Erfahrung möchtest du leben.“ Er zeigt auf einen Weg der mit einem Rosentor eingerahmt ist. „Diesen Weg bist du auch gegangen, die Rosen sind erblüht und blühen dir ein Leben lang. Hier hast du dich entschieden deine Tochter zu bekommen. Komm“ er nimmt sie an der Hand „hier siehst du, da ist wieder ein Rosentor, der Weg kommt zurück auf die Allee.“ Esther scheitet nun den Weg bedächtig zurück und zurück.

„Hier, was war da meine Entscheidung?“

Tadefi lächelt. „Da hasst du dich für Martin entschieden.“

„Wo kommt denn dieser Weg wieder auf die Allee?“

„Auf der Hälfte von hier bis da wo du gekommen bist.“

„Also gehe ich schon eine ganze Weile auf der Allee?“

„Ja, Esther, eine ganze lange Weile“ bejaht er.

„Warum?“

„Die Allee ist der Da-Zwischen-Ort. Hier halten sich die Menschen auf, wenn sie keine Entscheidung für ihr Leben treffen können oder wollen. Das kann man dann ansehen wie man will. Doch je länger sie auf dem Weg gehen, desto anstrengender wird er für sie. Darum siehst du ihn auch ansteigen.“

„Es ist schwierig für mich zu verstehen, warum steigt der Weg an? Warum wird er anstrengender? Man könnte doch ewig so weiter machen, ich fühle mich sehr wohl in der Allee.“

„Irgendwann gelangt man an einen Punkt wo das Leben eingreifen wird. Sicher du kannst lange, lange auf der Allee gehen und dein Leben läuft und plätschert so dahin. Mit der Zeit wird es für dich immer anstrengender keine Entscheidung mehr zu treffen. Du lebst neben dir. Deine Energie verbraucht sich im Alltag ohne dass du es merkst. Es kostet dich immer mehr so zu tun als wäre alles in Ordnung, du lebst eine Lüge genau genommen. Denn du hast vergessen, was du brauchst. Schau doch mal Lisa an, hier.“ Er öffnet ein Fenster. Esther bemerkt es erst jetzt. Sie sieht unten Lisa mit ihrer Freundin Antonia mit den Puppen spielen.

„Nein, meine Mami schläft alleine in einem Zimmer“ hört sie gerade Lisa sagen.

„Meine schläft bei Daddy im Zimmer das ist so wenn man verheiratet ist.“ Antonia ist ganz ernst.

„Meine streiten nie!“ brüstet sich Lisa.

„Meine streiten fast jeden Tag. Ich weiss nie wen ich lieber haben soll. Ich habe doch beide gleich gerne, aber dieses ewige streiten!“ Antonia schweigt.

„Meine reden kaum mehr miteinander, sie tun so als ob alles in bester Ordnung wäre. Ich merke es, die sind ja so blöd!“

„Was machst du wenn sich deine scheiden lassen?“ fragt Antonia.

„Du meinst ob ich zu Daddy oder Mami ziehe?“ sie überlegt eine Weile.

„Das ist schwierig, ich habe doch beide gleich gerne.“

„Ich auch, Lisa, ich auch!“

„Aber manchmal denke ich, es doch befreiend sie würden sich trennen und mir weniger vorspielen es sei alles in Ordnung. Was meinst du?“

„Auf alle Fälle wäre bei Meinen dann das Streiten zu Ende.“ Sie lachen beide los.

„Komm, gehen wir noch etwas schaukeln, wer ist zuerst da?“ Lisa rennt los.

Antonia überholt sie. „ähä, ich war zuerst.“ Dann schaukeln beide so hoch wie sie nur können. Tadefi schliesst das Fenster. Esther steht nachdenklich da. „Bist du auch der Meinung, es geht Lisa besser, wenn ich mich von Martin trenne?“

„Oh, Esther ich bin nur ein Begleiter ohne eine eigene Meinung. Entscheidungen kannst sowieso nur du alleine fällen. Vielleicht kann ich dir den einen oder anderen Hinweis geben.“ Sie hat die Worte und die Allee noch stark im Bewusstsein beim Aufwachen am nächsten Morgen. Der Tag hat dadurch eine neue Wertigkeit bekommen. Er geht deshalb in ziemlichem Frieden an ihr vorbei. Auch Martin ist weiter von ihr weg. Sie hört ihn reden, sieht ihn handeln und bleibt unbeteiligt. Der nächste Tag ist ihr Wohlfühltag. Auf den hat sie sich schon lange gefreut. Zuerst zur Gesichtsbehandlung und dann noch eine Massage. Sie steht deshalb leicht auf und hat sehr gute Laune. Nach der Gesichtsbehandlung kann sie zu Fuss schnell um ein paar Blocks. Die Vorfreude lässt sie schnell schreiten. Sie achtet die Umgebung kaum, ihre Gedanken sind schon weit voraus! Ein Auto fährt neben ihr her, überholt sie und hält an. Ihr Unterbewusstsein registriert dies ohne zu handeln. Genau als sie auf der Höhe des Autos ist geht die Türe auf und sie läuft dagegen! Schwupps sie sitzt auf dem Gehsteig! Schon will sie aufbegehren, da tauchen ihre Augen in Grün ein. Tief tauchen sie in dieses Grün ein! Ein junger Mann bückt sich zu ihr hinunter und beobachtet sie aufmerksam. Seine Augen sind so richtig, richtig grün wie das Meer! Trotz der misslichen Lage beginnt ihr Herz wie wild zu pochen.

„Haben sie sich weh getan?“ eine tiefe angenehme Stimme erreicht ihr Ohr. Sie schüttelt den Kopf und will aufstehen.

„Sachte, sachte liebe Frau.“ Er nimmt ihren Arm. Als sie dann steht ist sie doch froh um die Stütze. Er legt ganz selbstverständlich den Arm um sie und führt sie zur nächsten Bank. Sie setzen sich.

„Geht’s?“ seine Stimme ist echt besorgt. Esther wagt nun einen Blick. Jung, hübsch, blond guter Körperbau analysiert ihr Bewusstsein einfach mal und lässt es so stehen.

„Ja, ich glaube.“

„Ich fahre sie besser ins Spital kommen sie.“

„Nein“ doch ihr nein ist eher schwach. Sie folgt ihm brav nach und setzt sich ins Auto. Fürsorglich hilft er ihr sich anzuschnallen und fährt dann ganz behutsam los.

„Ich möchte mich noch vorstellen, ich bin Jürg.“ Er schaut sie kurz an.

„Ich bin Esther.“

„Trotz der Umstände erfreut ihre Bekanntschaft zu machen.“ Er sagt es wirklich so, als wenn er es so meinen würde. Dann fahren sie schweigend. Beim Krankenhaus hilft er ihr in die Notaufnahme und wartet bis feststeht was los ist.

„Soll ich jemanden benachrichtigen?“ Diese Frage wirft Esther brutal wieder in ihre Welt.

„Nein das kann ich selbst tun, danke.“

„Frau Diebold, sie werden jetzt abgeholt und auf ihr Zimmer gebracht, wir möchten sie gerne über Nacht da behalten.“

„Dann kann ich mich ja verabschieden.“ Jürg schaut sie an. „Darf ich mich morgen nach dem Befinden erkundigen?“

„Wenn sie müssen!“ Sie hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen warum nur so borstig? Es ist ihr einfach heraus gerutscht.

„Begeisterung wäre etwas Anderes, aber ich bin zufrieden. Dann wünsche ich eine gute Nacht.“ Weg ist er.

„Das ist ja ein netter Kerl“ meint die Krankenschwester noch. Esther zuckt nur mit den Achseln. Sie bleibt vorerst noch in der Nische liegen bis sie auf die Station kann. Auf ihrem Nachttisch steht ein Blumenstrauss.

„Woher ist der denn?“ fragt sie die Schwester. Aus dem Nebenbett kommt promt die Antwort.

„Ein junger Mann war eben da und hat ihn hin gestellt.“ Eine Erklärung erübrigt sich da wohl. Telefonate sind getätigt, Nachtessen war auch schon da, alles ist erledigt. Esther liegt im Bett und hat auf einmal Zeit für sich. Keine Verantwortung, nur sie mit sich alleine!

„Ich bin Stefanie“ stellt sich ihre Nachbarin nach dem Essen dann vor.

„Ich bin Esther“

„Wie geht es dir?“ Stefanie hat sofort einen Draht zu der neuen Frau. Esther setzt sich im Bett auf um Stefanie besser zu sehen.

„Besser, denke es war nur eine leichte Gehirnerschütterung.“

„Bei mir ist es auch besser, hatte gestern einen Zusammenstoss mit einem Auto.“ Kurze Pause „hatte wohl eher Glück im Unglück.“

„Hast du Kinder?“

„Ja drei“ gibt Stefanie zurück. „Und du?“

„Ich nur eines, eine Tochter, sie ist zwölf.“

„Schön, bist du schon lange in dieser Stadt.“

Ein Wort gibt das andere und die beiden Frauen merken immer mehr, da ist eine verwandte Seele. Sie reden und reden, die Zeit geht im Fluge und schon ist es Schlafenszeit.

„Merkwürdig, so mit dir zu reden, als ob ich dich schon ewig kennen würde.“

„Ja mir geht es gleich, Stefanie. Ich kann dir Dinge sagen, sie kommen einfach über meine Lippen ohne ein Hindernis. Man könnte fast meinen wir mussten uns hier treffen!“

„Ist das für dich zu weit hergeholt?“

„Nein, darum habe ich es ja auch ausgesprochen.“ Esther ist auf einmal wieder hellwach.

„Wenn dem so wäre, dann müsste ja ein Grund dafür da sein?“

„Glaubst du es denn?“ Esther hat sich auf den Bettrand gesetzt, damit sie Stefanie in die Augen sehen kann.

„Ja, ich glaube daran. Wie ich an vieles mehr glaube. Du?“

„Glauben, auf keinen Fall bin ich religiös, aber ich glaube schon an Zufälle oder wie man so schön sagt. Es ist einem zu ge fallen.“

„Das ist schön ausgedrückt. Zu ge-fallen. Also Schicksal?“

„Für mich ein zu schweres Wort. Sagen wir einfach ein Weg?“ Stefanie muss lachen. „Das du jetzt genau dieses Wort gebrauchen musst“ und sie lacht weiter.

„Was ist denn an diesem Wort so lustig?“

„Der Gedanke ist lustig. Ich habe gestern so viel über den Weg, über meinen Weg gehört, darum muss ich lachen.“

„War ein Priester da?“

Stefanie prustet los! „Nein, kein Priester, aber dafür ein anderer Mann. Aber lass es, es ist gut so wie es ist.“

„Ich habe auch viel über meinen Weg gehört und es war auch ein Mann der es mir gesagt hat!“ Nun sind beide ruhig. Sie schauen sich einfach an und langsam dämmert in beiden die Wahrheit hoch.

Stefanie flüstert nur: „Tadefi!“

Esther nickt: „Ja Tadefi!“

Jede erzählt nun ihr Erlebnis und die Nacht wird zum Tag. Noch lange reden sie zusammen und erzählen über ihr Leben.

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